31.12.2000 | Unser Land ist reich – und es hat auch Kehrseiten

(vf) Die Ehinger Heimatzeitung schließt mit der heutigen vierten Folge ihren Rückblick auf Ereignisse des Jahres 2000 im Raum Ehingen – Munderkingen – Schelklingen – Allmendingen ab.

Kultur. Bildung, Politik international:

Junge Ehinger Musiker fliegen nach Shanghai und konzertieren dort. Vermittler: ein aus Shanghai stammender Geigenlehrer.

Der SPD Bundestagsabgeordnete unseres Raumes Prof. Dr. Jürgen Meyer spricht in China vor Studenten über Grundrechte.

Mehrere junge Leute aus dem Raum Ehingen besuchen ein Jahr lang Schulen in den USA.

Die bisher höchste Ozonbelastung der Atmosphäre im Raum Ehingen

 wird Anfang Mai gemessen. Nicht nur Benzinmotoren in Autos und Lkws verursachen das Ozonloch, sondern auch die in Rasenmähern.

Der wohl größte Festzug des Jahres im Raum Ehingen zieht durch Rottenacker. Anlass: ein Jubiläum des Musikvoreins. Ein „wilder“ Festzug: im Juni schippern junge Leute bei Munderkingen auf zahlreichen Flößen und Booten die Donau hinab

Die Emerkinger Musiker« organisieren eine Rundfahrt von Oldtimern.

Der einstige Bahnhof Untermarchtal ist renoviert und zu einem Info-Zentrum für Radfahrer auf dem Donauradwanderweg umgebaut.

Entschädigung von Zwangsarbeitern des Dritten Reichs,

Nicht alle über 75-jährigen Firmen im Raum Ehingen machen mit, einige Firmen aber, die damals noch gar nicht bestanden, machen mit und spenden in die Entschädigungskasse.

Ein 60-Millionen-Mark-Auftrag ergeht im Mai aus Paris an Liebherr Ehingen.

Ein neuer Narrenverein in Rottenacker wählt als „historische Grundlage“ den Einsturz einer Donaubrücke vor 250 Jahren und als Folge zahlreiche Toten durch Ertrinken. Einige Zeitgenossen und sogar der Schultes finden einen solchen Anlass schrecklich geschmacklos. Die SZ kommentiert: Auch andere Fasnetsgruppen greifen schreckliche historische Tatbestände auf und müssen dann ebenfalls für fatal geschmacklos gehalten werden.

Verkehrsstopp. Jahrzehntelang bestand eine von Waldsee ausgehende und durch den Raum Ehingen führende Buslinie „Lindau Tübingen“, jetzt wird sie eingestellt.

Die „Produktion- von 35 Tonnen Kohlendioxid infolge Energieverschleiß soll durch ein neues „Lichtmanagementsystem“ in einer Sporthalle in Ehingen verhütet werden.

Die alte Emerkinger Molke steht schon lange leer; die Milch wird wie überall täglich vom Milchwerk per Lkw abgeholt. Die Gemeinde gibt jetzt eine ganze Menge Geld aus, um hier die Eröffnung eines dörflichen Lebensmittelladens zu ermöglichen. Früher wäre eine solche Investition undenkbar gewesen.

Anlieger wollen ein betreutes Wohnhaus für psychisch Kranke in Ehingen per Verwaltungsgerichtsurteil verhindern. Die Richter aus Sigmaringen tagen im Ehinger Rathaus. Die Anlieger unterliegen. Am Jahresende ist das strittige  Haus schon seit Monaten bezogen. Die befürchteten Untaten von Bewohnern sind bisher nicht verübt geworden.

Ein 1,7 Kilometer langer Bach bei Mühlen wird renaturiert: Betonschalen raus und Platz für Bachschlingen. – Eine ganze Reihe Bäche, die in den zwei, drei Jahrzehnten nach Kriegsende begradigt wurden und  betonierte Betten erhielten, werden jetzt wieder aus ihren „Korsetten“ geholt, unter anderem auch bei Oberstadion. Für die Ent-Naturierung und die ReNaturieruno wurden Steuergelder ausgegeben.

Ein katholischer Geistlicher aus Afrika wird neuer Rupertshofener Pfarrer.

Für die Erforschung des tropischen Regenwaldes von oben her entwickelt und baut die Ehinger Firma Glocker metallene Türme, die durch Drahtseilbahnen verbunden werden Vorübergehend sind die Türme im Ulmer Botanischen Garten aufgestellt.

Drei junge Leute aus dem Raum Ehingen verunglücken „im Winter bei der Rückfahrt von einem Disco-Besuch im Unterland. Zwei sterben gleich, ein drittes Opfer im Juni.

Der Bau dreier weiterer Windkraftanlagen bei Ingstetten wird im Juni geplant, jetzt, zum Jahresende, sind sie in Betrieb.

Konkursverfahren bei einer Schelklinger Bauunternehmung.

Neues Kulturzentrum. Das vor sich hin gammelnde alte Altersheim der Stadt Ehingen wird mit einem Millionenaufwand renoviert und modernisiert. Jetzt, im Sommer 2000, ist Eröffnung mit viel Musik. Per Liebherr-Autokran werden fünf Musiker übers Dach in den Innenhof gehoben. Eine Uraufführung gehört zum Programm.

Spitzenmusiker sind beim Ehinger Musiksommer im (ex-)“Franziskanerkloster“ zu hören. Ein neuer Theater- und Konzertsaal ist entstanden. Bilder eines aus Ehingen stammenden Berliner Malers werden in den Fluren zugänglich gemacht. Das Stadtarchiv erhält Platz und kann sich  Besucher-freundlich geben. Im Freigelände wird von Künstler Ludwig Lüngen ein Bronce-Brunnen gestaltet; er zeigt den Heiligen Franziskus; schließlich war das alte Altersheim zuvor einst Franziskaner-Kloster. Der Brunnen wird weitgehend durch Spenden finanziert.

Beim Untermarchtaler Jugendtag wird ein neukomponiertes Musical uraufgeführt.

Postkutsche aus dem Harz in Oberdischingen.

Ein Bauernsohn aus Ehingen, Erhard Mantz, baute in Jahrzehnten ein Transport-Unternehmen in Herzberg/Harz auf. Als Ruheständler renoviert er mit anderen Senioren eine Postkutsche. Per Tieflader lässt er sie samt Pferden nach Oberdischingen transportieren, um ein Gasthaus-Jubiläum aufzupeppen. Solche Transporte ebenso wie die in diesem Rückblick erwähnte Hochzeit in Sri Lanka und ganzjährige Schulbesuche in den USA sind ein Zeichen für den unvergleichlichen Anstieg des vergleichsweise breit gestreuten Wohlstands in den letzten Jahrzehnten in Deutschland ein Phänomen, das es in dieser Art in der deutschen Geschichte bisher nicht gab.

Der Zwiefaltendorfer Donaubrücken-Neubau wird durch die Aufstellung einer Christophorus-Statue des Ertinger Künstlers Jeggle akzentuiert.

Das Leben der Libellen in Alaska und am Schmiechener See wird von einem angehenden Schelklinger Biologen untersucht.

Die SZ kann eine Serie unter dem Motto „Selbstständige Ausländer im Raum Ehingen“ initiieren. Auftakttext: zwei türkische Brüder, die in Schelklingen einen Stukkateurbetrieb aufgebaut haben.

Public Relation. Ein slowenischer Schwimmer will die ganze Donau vom Ursprung bis zur Mündung hinabschwimmen, natürlich mit Unterbrechungen. Er kommt auch durch den Raum Ehingen.

Tierart-Rettung. Ehinger Fischer setzen mit hohem Geldaufwand 80.000 „Nasen“ in die Donau ein, um eine vom Aussterben bedrohte Tierart zu retten. Das einstige Altersheim der Stadt feierte im zu Ende gehenden Jahr fröhliche Urstände, als „Ehinger Kulturzentrum“. Und sogar ein Brunnen wurde wieder errichtet, diesmal mit einer Figur, den Heiligen Franziskus darstellend, der an den im Gebäude einst tätigen Franziskanerorden erinnern soll.

Bild: Die hier wiedergegebene Zeichnung stammt vom gleichen Künstler, der auch die Brunnenfigur entwarf, von Ludwig Lüngen. Den Auftrag zur Zeichnung gab die Ehinger Volksbank.

16.12.2000 | Ein Buch der regionalen Kulturgeschichte – jetzt wieder verfügbar

EHINGEN / WEISSENHORN (vf) – Im Weißenhorner Anton-H.-Konrad-Verlag ist, wie an dieser Stelle notiert, der Nachdruck einer Reihe Liedertexte erschienen, die vor fast vierhundert Jahren von dem aus Ehingen stammenden Schriftsteller Jacob Bidermann zusammengetragen worden sind. – Am Donnerstagabend wurde die Neuherausgabe gefeiert – als Versuch, für eine ungewöhnliche verlegerische Tat ein wenig Publicity, Publizität, zu gewinnen. – Verleger A. H. Konrad überreichte das „erste Exemplar“ der Neuerscheinung einem Förderer dieser Ausgabe, dem Landrat des Alb-Donau-Kreises. Wolfgang Schürle hat seinen Doktorhut mit einer Arbeit im Schnittbereich von Geschichte, Recht und Wirtschaftswissenschaft erworben und unterstützt seit vielen Jahren die Buch-fundierte Befassung mit heimischer Geschichte.

Mit der Neuherausgabe der Liedtext-Sammlung „Himmelglöcklein“ wurde nun eines der zahlreichen Werke Bidermans wieder zugänglich gemacht. Zwar gilt Schwer-Zugänglichkeit von den meisten Bidermann-Texten, aber in verschiedenem Ausmaß; an einen Nachdruck des berühmtesten Dramas von Bidermann, „Cenodoxus“, kommt man leichter dran; von den „Himmelgöcklein“ existieren weltweit nur wenige Exemplare. Ebenso schwer zugänglich
sind Bidermanns lyrische und epistolographische (briefstellerische)  Werke, und um eine genaue Auflistung aller Werke zu erhalten, musste man lange Zeit – oder muss es wohl immer noch – Speziallexika der Literaturgeschichte des Jesuitenordens zu Hilfe nehmen. Nun gibt es also 500 Exemplare des „Himmelglöcklein“ – nicht gerade viel. Aber die Verantwortlichen nehmen aus Erfahrung an, dass es keinen Run auf solche alten Schinken gibt, auch wenn diese jetzt von erläuternden Texten erhellt einherkommen und auch wenn man kein steinaltes Papier mehr anfassen muss, um sie zu lesen.

Anton Konrad schilderte am Donnerstagabend in der Lindenhalle den Zustand, in dem sich das einzige Exemplar der dritten Auflage befindet, das heute noch weltweit aufzutreiben ist: Es sieht ziemlich gebraucht aus.

Anton Konrad gab auch ein bisschen Reproduktions-Geschichte zum Besten. Der technische Fortschritt, im vorliegenden Fall von der ReproKamera zum Scanner, sei nicht nur von Vorteil, so Konrad: Zwar war eine solche Repro-Kamera, wie sie früher für das Reprint eines alten Buchs nötig war, ein teures und unhandliches Gerät und ist inzwischen – meist: gottseidank – von den sogenannten Scannern abgelöst, deren billige Exemplare man im Supermarkt um die Ecke für 100 Mark kriegt. Aber die Scanner, mit denen heute eine alte Buchseite abgelichtet wird, bevor die elektronische Datenmenge an die Druckmaschinen weitergereicht wird, diese Scanner arbeiten anders als Fotoapparate und: Sie arbeiten zu gut: Sie nehmen alle Schmutzspuren auf einer Buchseite mit auf und auch die Buchstaben der Rückseite, deren Druckfarbe durchs Papier durchschlug. Und so muss deshalb eine Seite nach der anderen nach dem Einlesen in den Scanner ausgiebig bearbeitet (gewissermaßen: retuschiert) werden, bis sie angenehm lesbar geworden ist.

Immerhin, wenn nun ein Run auf die 500 Exemplare einsetzt und Verleger und Alb-Donau-Kreis nicht auf einem großen Teil der Auflage sitzen bleiben, so ist ein weiterer Nachdruck jetzt, mit den heutigen elektronischen Speichermöglichkeiten, unvergleichlich leichter zu bewerkstelligen als je zuvor.

Einer, der mit der Druckfertigmachung sicher viel zu tun hatte, saß an diesem Abend still und bescheiden im Publikum: der in Oberdischingen lebende technische Mitarbeiter des Konrad-Verlags Werner Kreitmeier. – Unter den Gästen befand sich auch einer der ältesten noch lebenden Ehinger Gschtudierten, Franz Schad, Jahrgang 1907, Sohn eines einst für seine Gelehrtheit bekannten Ehinger Gymnasiallehrers und allem nach später nicht nur „der Sohn von…“, sondern selbst ein „Fässle“. Das „zweite“ Exemplar der Neuherausgabe erhielt an diesem Abend der Volksliedforscher Otto Holzapfel, Leiter des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg; er hat einen erläuternden Beitrag zu dem neuen Buch beigesteuert. Der m i t-erläuternde hochbetagte Germanist Hans Pörnbacher war für diesen Abend  als Referent vergeben, er war bei einem Kongress in Sachsen.

Der Kirchenchor von St. Michael trug unter Leitung von Wolfgang Gentner einige der Lieder vor, deren Texte in der Neuausgabe nachzulesen sind. Der Chor erfüllte seine Aufgabe sicher und mit einer angenehmen Balance zwischen Nüchternheit und Emphase. Der Schauspieler Walter Frei las weitere Strophen texte vor, damit der Gesangsteil nicht zu lang gerate. Zu den vorgetragenen geistlichen Liedern gehörte auch – jahreszeitlich angemessen – eines über die keusche Jungfrau Maria, die; trotz höchst erwünschter Keuschheit, Reinheit… schwanger wird. Dieses Lob der Keuschheit und Reinheit sangen an diesem Abend zahlreiche Frauen, die durchweg Mütter sind, ohne deshalb auf die ehrenden Beiworte „Unberührtheit“ und „Reinheit“ Anspruch nehmen zu können, und zahlreiche Männer, die ihren Ehefrauen diese Unkeuschheit vermutlich auch mal angetan haben. Kurz: In den abgedruckten und jetzt vorgetragenen Liedtexten wird eine  traditionelle christliche Sexualmoral gefeiert, die vielen Zeitgenossen heute fern geworden ist und die es wohl auch erschwert, dass viele Zeitgenossen sich heute noch durchweg für Bidermann-Texte erwärmen. Diese Traditionen-Last religiöser Texte mag es auch verständlich machen, dass (von aller neueren Bild- und Klang-Sucht und allem neueren Analphabetentum abgesehen) wir Heutigen viel lieber Bilder aus der Barockzeit anschauen und Instrumentalmusik aus der Barockzeit anhören als barocke, religiös gestimmte Texte lesen.

Bild: Der Kirchenchor von St. Michael sang Lieder, deren Texte in der Neuherausgabe vollständig, das heißt: in voller Länge, abgedruckt sind.

Bild: Das Schmuckbild des Schutzumschlags der Neuerscheinung zeigt musizierende Engel aus einem Fresko der Wallfahrtskirche Maria Berg bei Breiten-Haslach im oberbayerischen Ruperti-Winkel. – Verleger A. Konrad nannte am Donnerstagabend beiläufig den Ursprungsort – vielleicht auch deshalb, weil das in der Neuhausgäbe zu nennen versäumt wurde. Rechts: Verleger Anton H. Konrad übergibt das „erste“ Exemplar der Neuerscheinung an einen Mann, der Spendengeld für den Nachdruck bereitstellte, den Landrat des AIb-Donau-Kreises, Dr. Wolfgang Schürle.

08.12.2000 | Liedtext-Sammlung von J. Bidermann neu aufgelegt

EHINGEN / WEISSENHORN (vf) – Mit wesentlicher Unterstützung des Alb-Donau-Kreises bringt der Weißenhorner Anton-H.-Konrad-Verlag eine Sammlung geistlicher Lieder aus dem 17. Jahrhundert neu heraus, das Liederbuch „Himmelglöcklein“. Die Neuerscheinung wird am Donnerstag, 14. Dezember, 19 Uhr, in der Lindenhalle öffentlich vorgestellt. Die Veranstaltung wird umrahmt mit vier Chorälen aus dem an diesem Abend präsentierten Band. – Walter Frei liest einiges vor.

Einige der Texte stammen von dem aus Ehingen stammenden Dichter und Theologen Jacob Bidermann selbst; der einstige Professor in Dillingen tat sich durch eine Reihe Dramen meist religiösen Inhalts hervor und beendete seine Laufbahn im Jesuitenorden als dessen Oberzensor in Rom.

Die Mehrzahl der Texte in der Neuerscheinung wurde von Bidermann nicht verfasst, sondern aus anderen Sammlungen übernommen. Zu seiner Zeit kam diese Liedtext-Sammlung gut an und erschien in wenigstens sechs Auflagen. Heute gibt es nur noch von einigen dieser Auflagen Exemplare in Universitätsbibliotheken.

Die Neuherausgabe wird von erläuternden Texten begleitet. Sie stammen von Germanistik-Professor i. R. Hans Pörnbacher, Wildsteig, und von Prof. Otto Holzapfel vom Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg; beides sind ausgewiesene Fachleute.

In einem Geleitwort weist Landrat Dr. Wolfgang Schürle darauf hin,  dass in den letzten Jahrzehnten in Deutschland sehr viel für den Erhalt und die Pflege barocker Kunst, Architektur und Musik, aber wenig für die Pflege und Bekannthaltung barocker Dichtung getan wurde. Diesem Missstand und dem geschichtlichen Interesse an bedeutsamen Hervorbringungen aus unserem engerem Raum möchte die Neuherausgabe der Bidermann‘schen Liedertextsammlung dienen. Von Vorteil ist, dass die Neuerscheinung großteils deutsche (Original-)Texte enthält, während Bidermanns eigene Hervorbringungen meist in Latein geschrieben waren.

29.11.2000 | Prediger Beck hat sein „Vaterland Munderkingen bewacht“

Bild: Oben das Titelblatt einer berühmten Flugschrift von Martin Luther: „Wider die Mordischen und reubischen Rotten der Bawren“ von 1525. Der Bauer wird auf dem beigefügten Holzschnitt dargestellt mit einem umwickelten (also nicht kampfbereiten) Schwert, mit Eiern im Sack und einer Martinsgans unterm Arm, wie sie ein ordentlicher Bauer als Zins an den Grundeigentümer abzuliefern hatte, dazu auf einem Spruchband die Aufforderung „Hab Gott lieb!“. – Unter dem Holzschnitt wird ein Psalmvers zitiert: „Seyne Tück werden ihn selbst treffen…“ – Der Bauernkrieg 1525 wurde auch von den religiösen Auseinandersetzungen der Zeit beeinflusst. Die eigentumskritischen Bauern beriefen sich auf „Freiheiten“, die ihnen das Evangelium Christi zugestehe. Die Reformatoren waren teils so oder so obrigkeitlich orientiert oder hatten Sorge, ihr kirchenkritisches Anliegen könne mit dem der Bauern in den selben schlimmen  Topf geworfen werden. (vf)

MUNDERKINGEN (wh) Die Munderkinger verdienten sich 1525 ein Lob des obrigkeitsorientierten Chronisten, als sie einen von Truchsess Jörg von Waldburg bedrängten Bauernhaufen vor ihrem Oberen Tor stehen ließen. Später wurden die Bauern dieses Teils des Baltringer Haufens zusammen mit anderen Aufständischen erschlagen und die Leichen in die Donau geworfen. Der Munderkinger Historiker Dr. Winfried Nuber skizzierte am Sonntag den Weg, der diese Bauern über Erbach und Oberstadion nach Munderkingen geführt hatte; er sprach im Rahmen eines VHS-Vortrags auch über die Rolle, die der Munderkinger (lutherische) Prediger Paul Beck in dieser blutigen Geschichte spielte.

Im 16. Jahrhundert teilten sich mehrere Priester die Seelsorge in der Stadt. Bis 1524 waren es die Brüder Jakob und Matthias Hug. Nach dem Tod des einen wurde der Munderkinger Konrad Färber vom Rat der Stadt zum Prediger bestellt. Er gehörte zu den „Sturmtruppen der Reformation“ und wurde auf Verlangen des Stadtherrn Truchsess von Waldburg bald aus dem Amt gejagt. Sein Nachfolger, der gebürtige Munderkinger Paul Beck, hatte in Heidelberg studiert und dort, so Nuber, vermutlich Luthers Theologie kennen gelernt. Er folgte Luthers politischer Haltung, als dieser sich auf die Seite der Fürsten schlug und gegen die aufrührerischen Bauern in einer Streitschrift zu Felde zog und die Herrschenden aufforderte, die Bauern zu stechen und zu würgen.

Beck befand sich mit den anderen Munderkinger Spieß-Bürgern auf den Mauern, als die Bauern, aus Oberstadion kommend, vor dem Oberen Tor standen. Am Unteren Tor befand sich derweil im Auftrag des Truchsessen Jörg der Untermarchtaler Schlossherr Dietrich Speth, der die Bewohner des Landstädtchens aufforderte, die Bauern nicht einzulassen.

Die Bauern zogen weiter nach Marchtal und später mit den aufständischen Bauern aus der Region um den Teutschbuch (bei Riedlingen) nach Zwiefalten. Im Kloster wurden von ihnen die Urkunden und Lehensverzeichnisse vernichtet, die den Mönchen dazu gedient hatten, ihre leibeigenen Bauern auszupressen.

Dann begann das große Bauernschlachten. Die blutige Spur zieht sich über Zweifalten, Tigerfeld nach Leipheim und Bad Wurzach. Als der Bauernjörg am 17. April bei Weingarten auf den sogenannten Seehaufen traf, aufständische Bauern aus der Bodenseegegend, denen weitere Bauern aus dem Allgäu zueilten, setzte der Feldherr des Schwäbischen Bundes nicht alles auf eine kriegerische Karte, sondern schloss den Weingartener Vertrag, der den dortigen Bauern das Leben ließ und einer weiteren Verschlechterung der Lebensverhältnisse der von Adel und Klerus gleichermaßen ausgebeuteten Leibeigenen Einhalt gebot.

In Munderkingen wird der lutherische Prediger Beck aus der Stadt gedrängt. Er selbst schreibt später von einer Intrige der Pfaffen. Der neue Pfarrherr, Johannes Gudin, war angeblich gegen Beck „losgezogen“.

Beck kam über Ulm als Prediger nach Geislingen. Dort wurde er von einem Mitbruder beim „Schwäbischen Bund“, dem Polizeiorgan der Städte und Regionalfürsten, angeschwärzt, er habe in Munderkingen die Sache der Bauern unterstützt. Beck setzt sich zur Wehr. Er sei um des Wortes Gottes willen, das er gepredigt habe, von Munderkingen vertrieben worden. Mit dem Aufruhr der Bauern habe er nichts zu tun. Vielmehr habe er sich gegen den Aufruhr gewandt und als Bürger „das Vaterland Munderkingen“ bewacht. Die siegreiche Obrigkeit rechnet ab: Der Rottenacker Kaplan Hieronymus Rösch sitzt in Munderkingen ein und beteuert, er habe „stets dem Adel gedient“. Dabei war er es, der vermutlich die Rottenacker Beschwerdeschrift verfasste, in der die Rottenacker Bauern wie die Bewohner hunderter anderer Siedlungen in Deutschland ihre auf das „göttliche Recht“ gestützten Forderungen nach „christlicher Freiheit“ gegenüber der jeweiligen Obrigkeit begründeten. – In Ehingen werden führende Aufständische hingerichtet, und in Oberstadion werden dem Schwiegersohn des Ulrich Schmied, des ersten Anführers des Baltringer Haufens, unter der Folter die Arme ruiniert. Anderen aufständischen Bauern, unter ihnen Ulrich Schmied, gelingt die Flucht in die Schweiz.

27.11.2000 | Hellmuth G. Haasis tritt als Clown auf

OBERDISCHINGEN. Rektor Friedhelm Kicherer hat den deutschen Romancier und Historiker Hellmut G. Haasis für zwei Auftritte in Oberdischingen gewonnen. Am Mittwoch, 15. November, 15 Uhr, wird Haasis als „Clown Druiknui“ im Mehrzweckraum der Halle lustige Geschichten erzählen. Eingeladen sind vor allem Vier- bis Zehnjährige. Ab 19.30 Uhr wird Haasis aus seinem auf Schwäbisch verfassten Roman „Em Chrischdian sei Leich“ (hochdeutsch: Die Beerdigung Christians) im Rathaus vorlesen, außerdem aus weiteren Büchern, die er geschrieben hat.

Hier einige (verkürzte) Angaben über den Autor.

Haasis hat in den letzten zwei Jahren zwei über Deutschland hinaus beachtete umfangreiche historische Untersuchungen vorgelegt: über den einstigen Stuttgarter „Kammerjuden“ Joseph Süß Oppenheimer und über den Hitler-Attentäter Georg Elser. In beiden Büchern hat er neue Erkenntnisse über diese bemerkenswerten historischen Persönlichkeiten zusammengetragen.

Im Fall Elser bedeutet Haasis’ Biographie, dass dieser schwäbische Handwerker von der Ostalb endlich in das verdiente Licht gerückt wird, als ein tapferer wie integrer und als ein alles andere als spinniger Mensch. Elser, so darf angemerkt werden, ist leider immer noch ein Stein des Anstoßes für Hitler-Kritiker und Historiker des Anti-Hitler-Widerstandes. Elser hatte („nur“) die Volksschule besucht, hatte aber ein klares, deutliches, stimmiges Bild des NS-Unrechtsstaates. – Für die „Jud Süß“-Biographie hat Haasis die vorhandenen, umfangreichen Prozess-Akten erstmals vollständig durchgearbeitet und ausgewertet.

Haasis stammt aus einer evangelischen Pfarrersfamilie des Unterlands; sein Vater kam im Krieg ums Leben. H. Haasis hat in den 60er Jahren Theologie und Geschichte in Tübingen studiert und sich in der damaligen Studentenbewegung engagiert, was ihn die Ordinarien-Universität büßen ließ. Nun lebt er schon seit Jahrzehnten in Betzingen bei Reutlingen. Seit Jahrzehnten bereits veröffentlicht er Romane, Erzählungen, Gedichte und historische Texte (unter anderem eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte der Anhänger der Französischen Revolution in Deutschland). Als erster veröffentlichte Haasis im Selbstverlag einen wichtigen Text aus der Geschichte der Rottenacker „Separatisten“-Bewegung der „Babelesbuben“. Viele Jahre trat er als Clown auf, um seine schriftstellerische Arbeit zu finanzieren. Dem Oberdischinger Schulleiter gebührt Anerkennung, dass er einen hervorragenden Schriftsteller und Historiker „aufs flache Land“ holt – wozu viele andere Kultureinrichtungen nicht imstande sind.

27.11.2000 | Zum Tod von Karl Schaupp

EHINGEN (vf) – In einem Monat wäre Karl Schaupp 85 Jahre alt geworden. Nun wird er am Mittwoch auf dem Ehinger Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Mit ihm stirbt ein Mann, der sich in einem ungewöhnlich respektablen Umfang kommunalpolitisch im Ehinger Gemeinderat, im einstigen Ehinger Kreistag und dann auch noch im Alb-Donau-Kreistag und in seiner Partei, der SPD, engagierte.

Es war ein hohes Maß an Tapferkeit und persönlicher Integrität nötig, um ein halbes Jahrhundert lang für eine
– jedenfalls in unserer Gegend – kleine Partei anzutreten, für die es in Ehingen eigentlich keine Aussicht auf kräftiges Wachstum gab. Erschwerend kam hinzu, dass sich nur vergleichsweise wenige Bürger bereitfinden, für eine Partei zu kandidieren, die wahrscheinlich nie einen Einfluss ermöglichen wird wie die CDU-Gemeinderats- oder -Kreistagsfraktion. Ein anderer als Karl Schaupp hätte wohl „den Bettel hingeschmissen”. Schaupp blieb der einmal erklärten Aufgabe treu, als SPD-Mitglied ein Anwalt der kleinen Leute zu sein. Da der Führungsstil des jetzigen Oberbürgermeisters wie seines Vorgängers im Ehinger Gemeinderat – zumindest in jenen zahlreichen Sitzungen, die der Verfasser dieser Zeilen miterlebte – oft autoritär war, musste sich Karl Schaupp manches gefallen lassen. Und da Solidarität unter Gemeinderäten, soweit es der Verfasser dieser Zeilen als Gemeinderatsberichterstatter miterlebte, in diesem Gremium ein Fremdwort war, war für Schaupp die Arbeit dort des Öfteren kein Honigschlecken. Das Mindeste, was man von Karl Schaupp sagen kann, ist: Er hat mit seinem Verstand, seiner Erfahrung, seiner Ausdauer und seiner Tapferkeit der Demokratie in Ehingen gedient.

20.11.2000 | Begegnung mit einem Clown

OBERDISCHINGEN (vf) – Der Historiker, Schriftsteller und Clown Hellmuth Haasis trat am Mittwoch in der Oberdischinger Halle als Clown auf und las am Abend im Rathaus aus selbstverfassten Texten. In die Halle kamen immerhin achtzig Kinder und Erwachsene, zur Lesung weit weniger.

Veranstalter der beiden Termine war die neue Alb-Donau-VHS; die Initiative zur Einladung Haasis‘ ging von Schulleiter Kicherer aus, der Haasis auch schon zu einer Lesung und einem Gespräch mit seinen Schülern eingeladen hatte.

Auch wenn Haasis inzwischen ein angesehener Autor ist, so ist sein Lebenszuschnitt doch bescheiden (und sagt etwas aus über die Geldmenge, die sich mit Büchern verdienen lässt, selbst wenn – oder manchmal: gerade wenn  – diese Bücher hervorragend geschrieben sind):

Zwanzig Mal pro Jahr tritt Haasis immer noch als Clown auf – und wie in Oberdischingen hat er da wohl – gottseidank, muss man sagen – mehr Zuhörer als bei Lesungen. Dabei ist er ein Typ, der sich ganz und gar nicht professoral gibt, sondern zwischendurch auch gern schwäbisch schwätzt.

Wenn es unser Gesprächspartner auch noch nicht -bis zum eigenen Auto gebracht hat, man merkt dem Pfarrerssohn aus Mühlacker und studierten evangelischen Theologen keine Bitterkeit an; der Nachmittag machte dem  Historiker und Dichter Spaß, wie er uns erzählte: Die Kinder waren  interessiert und machten mit; die Fragen, die nach der abendlichen Lesung an ihn gestellt wurden, beantwortete Haasis  freundlich und sachlich.

Einer seiner Zuhörer wollte wissen, warum er sich als Historiker mit zwei Männern befasste, die beide hingerichtet wurden, der eine, der württembergische Finanzier „Jud Süß“, vor 260 Jahren, der andere, Hitler-Attentäter G. Elser, vor 55 Jahren. – Haasis, etwas amüsiert: Ich hatte immer Sympathie für die Unterlegenen; schließlich war ich in der Familie immer der jüngste und der kleinste, und für meine älteren Geschwister werd ich noch mit 80 „dr Kloi“, der Kleine, sein.

Natürlich nannte der Autor auch noch andere Gründe für seine (sieben Jahre währende) Untersuchung der Süß-Akten und der weiteren geschichtlichen und literarischen Zeugnisse. Man erfuhr an diesem Abend, dass Haasis für seinen schwäbisch verfassten Roman „Em Chrischdian sei Leich“ Befragungsergebnisse aus dem Familienkreis verwendet – 18 Jahre nach Erscheinen darf der Autor das eingestehen. – Haasis trug am Mittwoch unter anderem einen Text aus seinem im Piper-Verlag erschienen Prag-Buch vor: einen Text der  1941 im amerikanischen Exil gestorbenen tschechoslowakischen Jüdin von Kahler über den Messias, der seinen Auftritt verschlafen hat.

07.11.2000 | Hundert Loblieder auf Oberschwaben

EHINGEN / STUTTGART (vf) – Im »Theiss-Verlag Stuttgart ist jetzt „Droben im Oberland – Ein Lesebuch über Land und Leute“ erschienen. Der Ehinger Walter Frei, geboren 1936, bis vor einigen Monaten Lehrer am Ehinger Gymnasium und jetzt im Ruhestand, hat über Jahre hinweg die hier veröffentlichten Texte zusammengetragen und jetzt herausgegeben.

Der Band umfasst 320 Seiten; der kartonierte Einband verwendet ein Bild des oberschwäbischen Malers Jakob Bräckle, „Heinzen“, aus dem 1928.

Die ausgewählten Texte (Prosa und Verse) sind recht kurz, zum Teil nur eine Seite lang. Moderne Leser, die alles einfach und ohne Anstrengung haben wollen, müssten also klarkommen.
Zusammengetragen sind die Texte aus einem Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahrhunderten. Die Spanne der Autoren reicht von Sebastian Sailer bis zur Gegenwart; „Gegenwart“: Das bedeutet unter anderem den am Bodensee lebenden und von dort stammenden Martin Walser und den in Neufra bei  Riedlingen lebenden Werner Dürrson. Ehingen ist mit dem früheren Oberamtsarzt Dr. Michael Buck vertreten.

Das Buch ist gegliedert in Kapitel mit den Überschriften „Oberschwaben von außen und innen“, „Landschafts- und Reisebilder“, „Städteansichten“ und ganz einfach „Die Oberschwaben“.

Eigentlich war es von J. W. Goethe nicht nett, trotz einer Fahrt durch Oberschwaben diesen Landstrich nirgendwo zu erwähnen. Aber einige andere literarische Größen kann Frei nicht nur als Lobredner der Schwaben und des Schwabenlandes ganz allgemein, sondern speziell des Oberlandes anführen: Annette von Droste-Hülshoff, Mörike, Carlo Schmid, Johannes R. Becher, Ludwig Uhland, inklusive Ernst Jünger, dem bei seiner Beschreibung oberschwäbischer Jäger gleich die Weltkriege einfallen. Sie alle erwärmten sich irgendwann in ihrem Leben für diese Landschaft zwischen Bodensee, Donau und Iller und für die Menschen hier, die nicht so sehr durch ihre philosophische oder literarische Originalität (wie einige Unterländer – „der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff…“), auffallen, sondern durch ihre Art.

Die Bestimmung der Grenzen des Oberlands wollen wir nicht so ernst nehmen, wie das in der Neuveröffentlichung getan wird; Die Ostgrenze ist eigentlich erst 200 Jahre alt, unser geliebtes Oberschwaben ist aber sehr viel älter.

Die Liebe zum Oberland wurde Walter Frei nicht an der Wiege gesungen. Schließlich stammt er aus Gaildorf im Unterland. Aber 1964, also schon vor 36 Jahren, kam er nach Ehingen, und hier blieb er seitdem, und bleibt wohl auch noch länger, schließlich hat er inzwischen eine herzliche Zuneigung zu Ober-Schwaben entwickelt. Einen schreibenden (und auch ein wenig schauspielernden) Oberschwaben, den Marchtaler Pater Sebastian Sailer, und seine erdichteten Gestalten mimt Walter Frei für die „Theatereien“ in Erbach und Herrlingen seit langem. – Über Jahre hinweg sammelte der g°e°l°e°r°n°t°e Oberschwabe Walter Frei die meist positiven Zeugnisse übers Oberland, und nach längerem Suchen fand er einen Verlag, der die Texte drucken ließ. Der Ruhestand lässt dem Wahl-Oberländer mehr Zeit für sein Hobby, besser: seinen Zweitberuf, das Schauspielern. An 2 – 3 Abenden pro Woche steht Frei auf der Bühne; derzeit probt er zudem täglich 4 Stunden für ein neues Stück. Das Proben ist schon ab und zu öde, aber das Stück macht dem Schauspieler einen Heidenspaß. – Eigentlich würde W. Frei auch gern ein Buch über seine Traum-Stadt Wien schreiben, aber da gibt es schon viel, viel mehr Lobeserhebungen auf dem Markt als über unser, unser geliebtes (manchmal auch nicht so geliebtes) Oberland.

20.10.2000 | Zum 125. Geburtstag von Matthias Erzberger

EHINGEN / DETTINGEN (Ermstal) / BUTTENHAUSEN. (vf) – Vor 125 Jahren wurde in Buttenhausen / Lautertal der spätere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger geboren. Der Regionalhistoriker Günter Randecker aus Dettingen / Erms macht auf dieses Jubiläum aufmerksam.

Randecker hat in der „ZEIT” einen größeren Text über den bedeutenden schwäbischen Politiker veröffentlicht und schon vor Jahren eine Ausstellung über Erzberger vorbereitet, die in den letzten Wochen in Bad Hersfeld zu sehen war. Im Ehinger Heimatmuseum gilt auf Initiative von Siegfried Mall dem Gedenken an Erzberger eine Vitrine, schließlich war Ehingen früher für Katholiken aus dem Lautertal eine wichtige Stadt. Ein weiterer Bezug Erzbergers zu Ehingen bestand darin, dass hier lange Zeit eine seiner wenigen Verwandten lebte.

Günter Randecker fühlt sich unter anderem auch deshalb verpflichtet, die Erinnerung an Erzberger zu fördern, weil dieser ein Opfer von deutschen Rechtsradikalen wurde – Leuten von einer politischen Einstellung, die nach ihrer halbherzigen Verfolgung in der Weimarer Republik im Dritten Reich amnestiert und gar gefeiert wurden, im selben Dritten Reich, das die Judengemeinde Buttenhausen auslöschte.

In einem Begleittext zu der Gedächtnis-Ausstellung in Hersfeld erinnert Randecker daran, wie der Minister, der sich für die Beendigung des Ersten Weltkriegs einsetzte, in den 20er Jahren von deutschen Rechten geschmäht wurde. Beispiele: Adolf Hitler nannte Erzberger damals den „Johannes des Judenstaates” (mit „Judenstaat” war die Weimarer Republik gemeint, mit „Johannes” ein braver Gefolgsmann und Apostel). Der damalige Deutschnationale Karl Helfferich forderte – kurz vor der Ermordung Erzbergers – in der „Kreuzzeitung”: „Fort mit Erzberger!”

 Randecker erwähnt in einem Text zur Ausstellung, dass der Autor von „Schindlers Liste”, Thomas Keneally, in den siebziger Jahren Erzbergers Leben und Sterben zu einem Dokumentarroman („Gossip from the forest”) verarbeitete – ein Roman, der bis heute nicht ins Deutsche übersetzt ist.

Am Geburtshaus Erzbergers, Mühlsteige 21 in Buttenhausen, steht seit Monaten das Schild „zu verkaufen”. Randeckers Traum: Die Stadt Münsingen, zu der heute Buttenhausen gehört, der Kreis Reutlingen, das Land oder der Bund übernehmen dieses für die Geschichte der deutschen Demokratie wichtige Gebäude und richten dort ein Museum ein. Schließlich, so Randecker, gibt es für andere bedeutende deutsche Demokraten wie Heuss oder Ebert längst ebenfalls offizielle Gedenkstätten.

03.09.2000 | Literaturwissenschaftlerin aus Ehingen forscht über Diderot und Umberto Eco

STUTTGART / SALZBURG / EHINGEN (vf) – Wer im Internet rumfroscht, kann Entdeckungen machen. Beispiel: Gib einer Suchmaschine den Begriff „Ehingen“ ein, und du erhältst 200 Nennungen; du wühlst dich durch die Nennungen durch und du stößt darauf, dass es an der Uni Salzburg eine durch zahlreiche Veröffentlichungen ausgewiesene Literaturwissenschaftlerin gibt, die aus Ehingen stammt, Dr. Kathrin Ackermann, vf fragte nach.

Dr. Kathrin Ackermann, geboren 1961, war von 1992 bis 1997 Wissenschaftliche Assistentin an der Uni Gießen, seit 1997 ist sie Assistentin am Institut für Romanistik (romanische Sprachen und Literaturen) der Uni Salzburg. – Die Nachfrage bei der in Stuttgart wohnenden Wissenschaftlerin ergibt, dass sie derzeit von ihren Unterrichts­verpflichtungen entbunden ist, um in einem sogenannten Forschungssemester ihre Habilitationsarbeit über Erzählungen in der französischen Literatur zwischen 1760 und 1830 voranzubringen. Die Arbeit soll nächstes Jahr fertig werden. Besteht Kathrin Ackermann dann noch die mit der umfangreichen schriftlichen Arbeit verbundene gesprächsweise Prüfung, dann hat sie die – abgesehen vom Stellenplan einer Kulturverwaltung – schwierigste Hürde genommen und kann mit der Zeit eine richtige Uni-Professorin werden.

Kathrin Ackermann stammt aus einer Familie von Baufachleuten und Lehrern im Raum Ehingen; ihre Eltern leben und arbeiten hier. In Ehingen besuchte Kathrin das Gymnasium und legte 1980 das Abitur ab. – Auf die Nachfrage, ob Lehrer aus dieser Zeit ihr in guter Erinnerung seien, „kommt sofort die Antwort „ja“ und die Nennung der Namen Knöbl, Wax, Teifel, Baiensiefen. Sie waren ihre Leistungskurs-Lehrer und haben Kathrins Interesse an der sogenannten schönen Literatur und an neueren Sprachen auf jeden Fall gefördert. – K. Ackermann studierte Romanistik und Germanistik in Tübingen, Bologna und Bonn und schloss das Studium mit der Magisterarbeit und -prüfung 1987 ab. 1992 folgte die Promotion zum Dr. phil. an der Uni Tübingen mit einer Arbeit, die in dem bekannten wissenschaftlichen Verlag Winter in Heidelberg 1992 erschien: „Fälschung und Plagiat als Motiv in der zeitgenössischen Literatur“. – Seit einigen Jahren ist Dr. Ackermann nun an der Uni Salzburg tätig; ihre Stellen in Gießen und Salzburg hatte sie durch Bewerbung auf Ausschreibungen hin erhalten. In Salzburg darf (oder muss) Ackermann, anders als ein Assistent einer deutschen Uni, sogar Vorlesungen halten. Im letzten Semester las sie über die Geschichte der italienischen Literatur und hielt ein Seminar ab über „Abenteuerromane der Moderne“. Ihre Veröffentlichungsliste im Internet-Eintrag der Uni Salzburg führt Aufsätze an über Autoren wie Italo Calvino, Diderot, Umberto Eco. Als Interessenschwerpunkte sind da genannt „zeitgenössischer Roman in Italien, italienische Barockliteratur, französische Literatur des 18. Jahrhunderts, Beziehungen zwischen Literatur und Musik“ (Besucher früherer Ehinger Gymmi-Konzerte erinnern sich vielleicht an eine vorzügliche junge Flötistin).

K. Ackermann ist Mutter zweier Kinder im Alter von 5 und 6 Jahren und verheiratet; ihr bürgerlicher Name lautet Ackermann-Pojtinger.

Die SZ fragt: Was ist für Sie an Literatur wichtig?

Ackermann: Sie kann eine neue Sicht auf die Welt vermitteln.

SZ: „Bitte zwei Beispiele für solche Literatur.“

Ackermann: „In letzter Zeit haben mich zwei Romane sehr bewegt. Das ist einmal „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecque; in diesem Roman geht es um Probleme der Genetik, um Probleme der Formung neuer Menschen; und eine solche neue Sicht der Dinge fand ich auch in einem Roman des gleichfalls zeitgenössischen Autors Ermanno Cavazzoni, ‘Mitternachtsarbeit’.“ Im Internet-Eintrag wird als Interessengebiet von K. Ackermann auch „Gender Studies“ genannt: In diesen „Studien“ geht es um die Stellung von Mann und Frau zueinander, vor allem um ihre Rechte und Möglichkeiten, in der Geschichte und in verschiedenen Kulturen; es ist ein Forschungsbereich, der in den letzten fünfzehn Jahren infolge des Feminismus an Breite gewonnen hat. – Wir bitten Frau Ackermann um nähere Auskunft zu diesem Stichwort und erleben einen kleinen Rückzug. „Gender Studies“ scheinen ein Thema zu sein, das für unsere Gesprächspartnerin nicht mehr so aktuell ist, falls es das einmal war. Das ständige Lamento über die Benachteiligung von Frauen ist ihr inzwischen des Guten zu viel.

Nachtrag August 2024
Dr. Kathrin Ackermann ist inzwischen Professorin an der Uni Salzburg  und hat einiges Weitere veröffentlicht.