EHINGEN / WEISSENHORN (vf) – Im Weißenhorner Anton-H.-Konrad-Verlag ist, wie an dieser Stelle notiert, der Nachdruck einer Reihe Liedertexte erschienen, die vor fast vierhundert Jahren von dem aus Ehingen stammenden Schriftsteller Jacob Bidermann zusammengetragen worden sind. – Am Donnerstagabend wurde die Neuherausgabe gefeiert – als Versuch, für eine ungewöhnliche verlegerische Tat ein wenig Publicity, Publizität, zu gewinnen. – Verleger A. H. Konrad überreichte das „erste Exemplar“ der Neuerscheinung einem Förderer dieser Ausgabe, dem Landrat des Alb-Donau-Kreises. Wolfgang Schürle hat seinen Doktorhut mit einer Arbeit im Schnittbereich von Geschichte, Recht und Wirtschaftswissenschaft erworben und unterstützt seit vielen Jahren die Buch-fundierte Befassung mit heimischer Geschichte.
Mit der Neuherausgabe der Liedtext-Sammlung „Himmelglöcklein“ wurde nun eines der zahlreichen Werke Bidermans wieder zugänglich gemacht. Zwar gilt Schwer-Zugänglichkeit von den meisten Bidermann-Texten, aber in verschiedenem Ausmaß; an einen Nachdruck des berühmtesten Dramas von Bidermann, „Cenodoxus“, kommt man leichter dran; von den „Himmelgöcklein“ existieren weltweit nur wenige Exemplare. Ebenso schwer zugänglich
sind Bidermanns lyrische und epistolographische (briefstellerische) Werke, und um eine genaue Auflistung aller Werke zu erhalten, musste man lange Zeit – oder muss es wohl immer noch – Speziallexika der Literaturgeschichte des Jesuitenordens zu Hilfe nehmen. Nun gibt es also 500 Exemplare des „Himmelglöcklein“ – nicht gerade viel. Aber die Verantwortlichen nehmen aus Erfahrung an, dass es keinen Run auf solche alten Schinken gibt, auch wenn diese jetzt von erläuternden Texten erhellt einherkommen und auch wenn man kein steinaltes Papier mehr anfassen muss, um sie zu lesen.
Anton Konrad schilderte am Donnerstagabend in der Lindenhalle den Zustand, in dem sich das einzige Exemplar der dritten Auflage befindet, das heute noch weltweit aufzutreiben ist: Es sieht ziemlich gebraucht aus.
Anton Konrad gab auch ein bisschen Reproduktions-Geschichte zum Besten. Der technische Fortschritt, im vorliegenden Fall von der ReproKamera zum Scanner, sei nicht nur von Vorteil, so Konrad: Zwar war eine solche Repro-Kamera, wie sie früher für das Reprint eines alten Buchs nötig war, ein teures und unhandliches Gerät und ist inzwischen – meist: gottseidank – von den sogenannten Scannern abgelöst, deren billige Exemplare man im Supermarkt um die Ecke für 100 Mark kriegt. Aber die Scanner, mit denen heute eine alte Buchseite abgelichtet wird, bevor die elektronische Datenmenge an die Druckmaschinen weitergereicht wird, diese Scanner arbeiten anders als Fotoapparate und: Sie arbeiten zu gut: Sie nehmen alle Schmutzspuren auf einer Buchseite mit auf und auch die Buchstaben der Rückseite, deren Druckfarbe durchs Papier durchschlug. Und so muss deshalb eine Seite nach der anderen nach dem Einlesen in den Scanner ausgiebig bearbeitet (gewissermaßen: retuschiert) werden, bis sie angenehm lesbar geworden ist.
Immerhin, wenn nun ein Run auf die 500 Exemplare einsetzt und Verleger und Alb-Donau-Kreis nicht auf einem großen Teil der Auflage sitzen bleiben, so ist ein weiterer Nachdruck jetzt, mit den heutigen elektronischen Speichermöglichkeiten, unvergleichlich leichter zu bewerkstelligen als je zuvor.
Einer, der mit der Druckfertigmachung sicher viel zu tun hatte, saß an diesem Abend still und bescheiden im Publikum: der in Oberdischingen lebende technische Mitarbeiter des Konrad-Verlags Werner Kreitmeier. – Unter den Gästen befand sich auch einer der ältesten noch lebenden Ehinger Gschtudierten, Franz Schad, Jahrgang 1907, Sohn eines einst für seine Gelehrtheit bekannten Ehinger Gymnasiallehrers und allem nach später nicht nur „der Sohn von…“, sondern selbst ein „Fässle“. Das „zweite“ Exemplar der Neuherausgabe erhielt an diesem Abend der Volksliedforscher Otto Holzapfel, Leiter des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg; er hat einen erläuternden Beitrag zu dem neuen Buch beigesteuert. Der m i t-erläuternde hochbetagte Germanist Hans Pörnbacher war für diesen Abend als Referent vergeben, er war bei einem Kongress in Sachsen.
Der Kirchenchor von St. Michael trug unter Leitung von Wolfgang Gentner einige der Lieder vor, deren Texte in der Neuausgabe nachzulesen sind. Der Chor erfüllte seine Aufgabe sicher und mit einer angenehmen Balance zwischen Nüchternheit und Emphase. Der Schauspieler Walter Frei las weitere Strophen texte vor, damit der Gesangsteil nicht zu lang gerate. Zu den vorgetragenen geistlichen Liedern gehörte auch – jahreszeitlich angemessen – eines über die keusche Jungfrau Maria, die; trotz höchst erwünschter Keuschheit, Reinheit… schwanger wird. Dieses Lob der Keuschheit und Reinheit sangen an diesem Abend zahlreiche Frauen, die durchweg Mütter sind, ohne deshalb auf die ehrenden Beiworte „Unberührtheit“ und „Reinheit“ Anspruch nehmen zu können, und zahlreiche Männer, die ihren Ehefrauen diese Unkeuschheit vermutlich auch mal angetan haben. Kurz: In den abgedruckten und jetzt vorgetragenen Liedtexten wird eine traditionelle christliche Sexualmoral gefeiert, die vielen Zeitgenossen heute fern geworden ist und die es wohl auch erschwert, dass viele Zeitgenossen sich heute noch durchweg für Bidermann-Texte erwärmen. Diese Traditionen-Last religiöser Texte mag es auch verständlich machen, dass (von aller neueren Bild- und Klang-Sucht und allem neueren Analphabetentum abgesehen) wir Heutigen viel lieber Bilder aus der Barockzeit anschauen und Instrumentalmusik aus der Barockzeit anhören als barocke, religiös gestimmte Texte lesen.

Bild: Der Kirchenchor von St. Michael sang Lieder, deren Texte in der Neuherausgabe vollständig, das heißt: in voller Länge, abgedruckt sind.

Bild: Das Schmuckbild des Schutzumschlags der Neuerscheinung zeigt musizierende Engel aus einem Fresko der Wallfahrtskirche Maria Berg bei Breiten-Haslach im oberbayerischen Ruperti-Winkel. – Verleger A. Konrad nannte am Donnerstagabend beiläufig den Ursprungsort – vielleicht auch deshalb, weil das in der Neuhausgäbe zu nennen versäumt wurde. Rechts: Verleger Anton H. Konrad übergibt das „erste“ Exemplar der Neuerscheinung an einen Mann, der Spendengeld für den Nachdruck bereitstellte, den Landrat des AIb-Donau-Kreises, Dr. Wolfgang Schürle.