29.11.2000 | Prediger Beck hat sein „Vaterland Munderkingen bewacht“

Bild: Oben das Titelblatt einer berühmten Flugschrift von Martin Luther: „Wider die Mordischen und reubischen Rotten der Bawren“ von 1525. Der Bauer wird auf dem beigefügten Holzschnitt dargestellt mit einem umwickelten (also nicht kampfbereiten) Schwert, mit Eiern im Sack und einer Martinsgans unterm Arm, wie sie ein ordentlicher Bauer als Zins an den Grundeigentümer abzuliefern hatte, dazu auf einem Spruchband die Aufforderung „Hab Gott lieb!“. – Unter dem Holzschnitt wird ein Psalmvers zitiert: „Seyne Tück werden ihn selbst treffen…“ – Der Bauernkrieg 1525 wurde auch von den religiösen Auseinandersetzungen der Zeit beeinflusst. Die eigentumskritischen Bauern beriefen sich auf „Freiheiten“, die ihnen das Evangelium Christi zugestehe. Die Reformatoren waren teils so oder so obrigkeitlich orientiert oder hatten Sorge, ihr kirchenkritisches Anliegen könne mit dem der Bauern in den selben schlimmen  Topf geworfen werden. (vf)

MUNDERKINGEN (wh) Die Munderkinger verdienten sich 1525 ein Lob des obrigkeitsorientierten Chronisten, als sie einen von Truchsess Jörg von Waldburg bedrängten Bauernhaufen vor ihrem Oberen Tor stehen ließen. Später wurden die Bauern dieses Teils des Baltringer Haufens zusammen mit anderen Aufständischen erschlagen und die Leichen in die Donau geworfen. Der Munderkinger Historiker Dr. Winfried Nuber skizzierte am Sonntag den Weg, der diese Bauern über Erbach und Oberstadion nach Munderkingen geführt hatte; er sprach im Rahmen eines VHS-Vortrags auch über die Rolle, die der Munderkinger (lutherische) Prediger Paul Beck in dieser blutigen Geschichte spielte.

Im 16. Jahrhundert teilten sich mehrere Priester die Seelsorge in der Stadt. Bis 1524 waren es die Brüder Jakob und Matthias Hug. Nach dem Tod des einen wurde der Munderkinger Konrad Färber vom Rat der Stadt zum Prediger bestellt. Er gehörte zu den „Sturmtruppen der Reformation“ und wurde auf Verlangen des Stadtherrn Truchsess von Waldburg bald aus dem Amt gejagt. Sein Nachfolger, der gebürtige Munderkinger Paul Beck, hatte in Heidelberg studiert und dort, so Nuber, vermutlich Luthers Theologie kennen gelernt. Er folgte Luthers politischer Haltung, als dieser sich auf die Seite der Fürsten schlug und gegen die aufrührerischen Bauern in einer Streitschrift zu Felde zog und die Herrschenden aufforderte, die Bauern zu stechen und zu würgen.

Beck befand sich mit den anderen Munderkinger Spieß-Bürgern auf den Mauern, als die Bauern, aus Oberstadion kommend, vor dem Oberen Tor standen. Am Unteren Tor befand sich derweil im Auftrag des Truchsessen Jörg der Untermarchtaler Schlossherr Dietrich Speth, der die Bewohner des Landstädtchens aufforderte, die Bauern nicht einzulassen.

Die Bauern zogen weiter nach Marchtal und später mit den aufständischen Bauern aus der Region um den Teutschbuch (bei Riedlingen) nach Zwiefalten. Im Kloster wurden von ihnen die Urkunden und Lehensverzeichnisse vernichtet, die den Mönchen dazu gedient hatten, ihre leibeigenen Bauern auszupressen.

Dann begann das große Bauernschlachten. Die blutige Spur zieht sich über Zweifalten, Tigerfeld nach Leipheim und Bad Wurzach. Als der Bauernjörg am 17. April bei Weingarten auf den sogenannten Seehaufen traf, aufständische Bauern aus der Bodenseegegend, denen weitere Bauern aus dem Allgäu zueilten, setzte der Feldherr des Schwäbischen Bundes nicht alles auf eine kriegerische Karte, sondern schloss den Weingartener Vertrag, der den dortigen Bauern das Leben ließ und einer weiteren Verschlechterung der Lebensverhältnisse der von Adel und Klerus gleichermaßen ausgebeuteten Leibeigenen Einhalt gebot.

In Munderkingen wird der lutherische Prediger Beck aus der Stadt gedrängt. Er selbst schreibt später von einer Intrige der Pfaffen. Der neue Pfarrherr, Johannes Gudin, war angeblich gegen Beck „losgezogen“.

Beck kam über Ulm als Prediger nach Geislingen. Dort wurde er von einem Mitbruder beim „Schwäbischen Bund“, dem Polizeiorgan der Städte und Regionalfürsten, angeschwärzt, er habe in Munderkingen die Sache der Bauern unterstützt. Beck setzt sich zur Wehr. Er sei um des Wortes Gottes willen, das er gepredigt habe, von Munderkingen vertrieben worden. Mit dem Aufruhr der Bauern habe er nichts zu tun. Vielmehr habe er sich gegen den Aufruhr gewandt und als Bürger „das Vaterland Munderkingen“ bewacht. Die siegreiche Obrigkeit rechnet ab: Der Rottenacker Kaplan Hieronymus Rösch sitzt in Munderkingen ein und beteuert, er habe „stets dem Adel gedient“. Dabei war er es, der vermutlich die Rottenacker Beschwerdeschrift verfasste, in der die Rottenacker Bauern wie die Bewohner hunderter anderer Siedlungen in Deutschland ihre auf das „göttliche Recht“ gestützten Forderungen nach „christlicher Freiheit“ gegenüber der jeweiligen Obrigkeit begründeten. – In Ehingen werden führende Aufständische hingerichtet, und in Oberstadion werden dem Schwiegersohn des Ulrich Schmied, des ersten Anführers des Baltringer Haufens, unter der Folter die Arme ruiniert. Anderen aufständischen Bauern, unter ihnen Ulrich Schmied, gelingt die Flucht in die Schweiz.

27.11.2000 | Hellmuth G. Haasis tritt als Clown auf

OBERDISCHINGEN. Rektor Friedhelm Kicherer hat den deutschen Romancier und Historiker Hellmut G. Haasis für zwei Auftritte in Oberdischingen gewonnen. Am Mittwoch, 15. November, 15 Uhr, wird Haasis als „Clown Druiknui“ im Mehrzweckraum der Halle lustige Geschichten erzählen. Eingeladen sind vor allem Vier- bis Zehnjährige. Ab 19.30 Uhr wird Haasis aus seinem auf Schwäbisch verfassten Roman „Em Chrischdian sei Leich“ (hochdeutsch: Die Beerdigung Christians) im Rathaus vorlesen, außerdem aus weiteren Büchern, die er geschrieben hat.

Hier einige (verkürzte) Angaben über den Autor.

Haasis hat in den letzten zwei Jahren zwei über Deutschland hinaus beachtete umfangreiche historische Untersuchungen vorgelegt: über den einstigen Stuttgarter „Kammerjuden“ Joseph Süß Oppenheimer und über den Hitler-Attentäter Georg Elser. In beiden Büchern hat er neue Erkenntnisse über diese bemerkenswerten historischen Persönlichkeiten zusammengetragen.

Im Fall Elser bedeutet Haasis’ Biographie, dass dieser schwäbische Handwerker von der Ostalb endlich in das verdiente Licht gerückt wird, als ein tapferer wie integrer und als ein alles andere als spinniger Mensch. Elser, so darf angemerkt werden, ist leider immer noch ein Stein des Anstoßes für Hitler-Kritiker und Historiker des Anti-Hitler-Widerstandes. Elser hatte („nur“) die Volksschule besucht, hatte aber ein klares, deutliches, stimmiges Bild des NS-Unrechtsstaates. – Für die „Jud Süß“-Biographie hat Haasis die vorhandenen, umfangreichen Prozess-Akten erstmals vollständig durchgearbeitet und ausgewertet.

Haasis stammt aus einer evangelischen Pfarrersfamilie des Unterlands; sein Vater kam im Krieg ums Leben. H. Haasis hat in den 60er Jahren Theologie und Geschichte in Tübingen studiert und sich in der damaligen Studentenbewegung engagiert, was ihn die Ordinarien-Universität büßen ließ. Nun lebt er schon seit Jahrzehnten in Betzingen bei Reutlingen. Seit Jahrzehnten bereits veröffentlicht er Romane, Erzählungen, Gedichte und historische Texte (unter anderem eine umfangreiche Untersuchung über die Geschichte der Anhänger der Französischen Revolution in Deutschland). Als erster veröffentlichte Haasis im Selbstverlag einen wichtigen Text aus der Geschichte der Rottenacker „Separatisten“-Bewegung der „Babelesbuben“. Viele Jahre trat er als Clown auf, um seine schriftstellerische Arbeit zu finanzieren. Dem Oberdischinger Schulleiter gebührt Anerkennung, dass er einen hervorragenden Schriftsteller und Historiker „aufs flache Land“ holt – wozu viele andere Kultureinrichtungen nicht imstande sind.

27.11.2000 | Zum Tod von Karl Schaupp

EHINGEN (vf) – In einem Monat wäre Karl Schaupp 85 Jahre alt geworden. Nun wird er am Mittwoch auf dem Ehinger Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Mit ihm stirbt ein Mann, der sich in einem ungewöhnlich respektablen Umfang kommunalpolitisch im Ehinger Gemeinderat, im einstigen Ehinger Kreistag und dann auch noch im Alb-Donau-Kreistag und in seiner Partei, der SPD, engagierte.

Es war ein hohes Maß an Tapferkeit und persönlicher Integrität nötig, um ein halbes Jahrhundert lang für eine
– jedenfalls in unserer Gegend – kleine Partei anzutreten, für die es in Ehingen eigentlich keine Aussicht auf kräftiges Wachstum gab. Erschwerend kam hinzu, dass sich nur vergleichsweise wenige Bürger bereitfinden, für eine Partei zu kandidieren, die wahrscheinlich nie einen Einfluss ermöglichen wird wie die CDU-Gemeinderats- oder -Kreistagsfraktion. Ein anderer als Karl Schaupp hätte wohl „den Bettel hingeschmissen”. Schaupp blieb der einmal erklärten Aufgabe treu, als SPD-Mitglied ein Anwalt der kleinen Leute zu sein. Da der Führungsstil des jetzigen Oberbürgermeisters wie seines Vorgängers im Ehinger Gemeinderat – zumindest in jenen zahlreichen Sitzungen, die der Verfasser dieser Zeilen miterlebte – oft autoritär war, musste sich Karl Schaupp manches gefallen lassen. Und da Solidarität unter Gemeinderäten, soweit es der Verfasser dieser Zeilen als Gemeinderatsberichterstatter miterlebte, in diesem Gremium ein Fremdwort war, war für Schaupp die Arbeit dort des Öfteren kein Honigschlecken. Das Mindeste, was man von Karl Schaupp sagen kann, ist: Er hat mit seinem Verstand, seiner Erfahrung, seiner Ausdauer und seiner Tapferkeit der Demokratie in Ehingen gedient.

20.11.2000 | Begegnung mit einem Clown

OBERDISCHINGEN (vf) – Der Historiker, Schriftsteller und Clown Hellmuth Haasis trat am Mittwoch in der Oberdischinger Halle als Clown auf und las am Abend im Rathaus aus selbstverfassten Texten. In die Halle kamen immerhin achtzig Kinder und Erwachsene, zur Lesung weit weniger.

Veranstalter der beiden Termine war die neue Alb-Donau-VHS; die Initiative zur Einladung Haasis‘ ging von Schulleiter Kicherer aus, der Haasis auch schon zu einer Lesung und einem Gespräch mit seinen Schülern eingeladen hatte.

Auch wenn Haasis inzwischen ein angesehener Autor ist, so ist sein Lebenszuschnitt doch bescheiden (und sagt etwas aus über die Geldmenge, die sich mit Büchern verdienen lässt, selbst wenn – oder manchmal: gerade wenn  – diese Bücher hervorragend geschrieben sind):

Zwanzig Mal pro Jahr tritt Haasis immer noch als Clown auf – und wie in Oberdischingen hat er da wohl – gottseidank, muss man sagen – mehr Zuhörer als bei Lesungen. Dabei ist er ein Typ, der sich ganz und gar nicht professoral gibt, sondern zwischendurch auch gern schwäbisch schwätzt.

Wenn es unser Gesprächspartner auch noch nicht -bis zum eigenen Auto gebracht hat, man merkt dem Pfarrerssohn aus Mühlacker und studierten evangelischen Theologen keine Bitterkeit an; der Nachmittag machte dem  Historiker und Dichter Spaß, wie er uns erzählte: Die Kinder waren  interessiert und machten mit; die Fragen, die nach der abendlichen Lesung an ihn gestellt wurden, beantwortete Haasis  freundlich und sachlich.

Einer seiner Zuhörer wollte wissen, warum er sich als Historiker mit zwei Männern befasste, die beide hingerichtet wurden, der eine, der württembergische Finanzier „Jud Süß“, vor 260 Jahren, der andere, Hitler-Attentäter G. Elser, vor 55 Jahren. – Haasis, etwas amüsiert: Ich hatte immer Sympathie für die Unterlegenen; schließlich war ich in der Familie immer der jüngste und der kleinste, und für meine älteren Geschwister werd ich noch mit 80 „dr Kloi“, der Kleine, sein.

Natürlich nannte der Autor auch noch andere Gründe für seine (sieben Jahre währende) Untersuchung der Süß-Akten und der weiteren geschichtlichen und literarischen Zeugnisse. Man erfuhr an diesem Abend, dass Haasis für seinen schwäbisch verfassten Roman „Em Chrischdian sei Leich“ Befragungsergebnisse aus dem Familienkreis verwendet – 18 Jahre nach Erscheinen darf der Autor das eingestehen. – Haasis trug am Mittwoch unter anderem einen Text aus seinem im Piper-Verlag erschienen Prag-Buch vor: einen Text der  1941 im amerikanischen Exil gestorbenen tschechoslowakischen Jüdin von Kahler über den Messias, der seinen Auftritt verschlafen hat.

07.11.2000 | Hundert Loblieder auf Oberschwaben

EHINGEN / STUTTGART (vf) – Im »Theiss-Verlag Stuttgart ist jetzt „Droben im Oberland – Ein Lesebuch über Land und Leute“ erschienen. Der Ehinger Walter Frei, geboren 1936, bis vor einigen Monaten Lehrer am Ehinger Gymnasium und jetzt im Ruhestand, hat über Jahre hinweg die hier veröffentlichten Texte zusammengetragen und jetzt herausgegeben.

Der Band umfasst 320 Seiten; der kartonierte Einband verwendet ein Bild des oberschwäbischen Malers Jakob Bräckle, „Heinzen“, aus dem 1928.

Die ausgewählten Texte (Prosa und Verse) sind recht kurz, zum Teil nur eine Seite lang. Moderne Leser, die alles einfach und ohne Anstrengung haben wollen, müssten also klarkommen.
Zusammengetragen sind die Texte aus einem Zeitraum von etwa zweieinhalb Jahrhunderten. Die Spanne der Autoren reicht von Sebastian Sailer bis zur Gegenwart; „Gegenwart“: Das bedeutet unter anderem den am Bodensee lebenden und von dort stammenden Martin Walser und den in Neufra bei  Riedlingen lebenden Werner Dürrson. Ehingen ist mit dem früheren Oberamtsarzt Dr. Michael Buck vertreten.

Das Buch ist gegliedert in Kapitel mit den Überschriften „Oberschwaben von außen und innen“, „Landschafts- und Reisebilder“, „Städteansichten“ und ganz einfach „Die Oberschwaben“.

Eigentlich war es von J. W. Goethe nicht nett, trotz einer Fahrt durch Oberschwaben diesen Landstrich nirgendwo zu erwähnen. Aber einige andere literarische Größen kann Frei nicht nur als Lobredner der Schwaben und des Schwabenlandes ganz allgemein, sondern speziell des Oberlandes anführen: Annette von Droste-Hülshoff, Mörike, Carlo Schmid, Johannes R. Becher, Ludwig Uhland, inklusive Ernst Jünger, dem bei seiner Beschreibung oberschwäbischer Jäger gleich die Weltkriege einfallen. Sie alle erwärmten sich irgendwann in ihrem Leben für diese Landschaft zwischen Bodensee, Donau und Iller und für die Menschen hier, die nicht so sehr durch ihre philosophische oder literarische Originalität (wie einige Unterländer – „der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff…“), auffallen, sondern durch ihre Art.

Die Bestimmung der Grenzen des Oberlands wollen wir nicht so ernst nehmen, wie das in der Neuveröffentlichung getan wird; Die Ostgrenze ist eigentlich erst 200 Jahre alt, unser geliebtes Oberschwaben ist aber sehr viel älter.

Die Liebe zum Oberland wurde Walter Frei nicht an der Wiege gesungen. Schließlich stammt er aus Gaildorf im Unterland. Aber 1964, also schon vor 36 Jahren, kam er nach Ehingen, und hier blieb er seitdem, und bleibt wohl auch noch länger, schließlich hat er inzwischen eine herzliche Zuneigung zu Ober-Schwaben entwickelt. Einen schreibenden (und auch ein wenig schauspielernden) Oberschwaben, den Marchtaler Pater Sebastian Sailer, und seine erdichteten Gestalten mimt Walter Frei für die „Theatereien“ in Erbach und Herrlingen seit langem. – Über Jahre hinweg sammelte der g°e°l°e°r°n°t°e Oberschwabe Walter Frei die meist positiven Zeugnisse übers Oberland, und nach längerem Suchen fand er einen Verlag, der die Texte drucken ließ. Der Ruhestand lässt dem Wahl-Oberländer mehr Zeit für sein Hobby, besser: seinen Zweitberuf, das Schauspielern. An 2 – 3 Abenden pro Woche steht Frei auf der Bühne; derzeit probt er zudem täglich 4 Stunden für ein neues Stück. Das Proben ist schon ab und zu öde, aber das Stück macht dem Schauspieler einen Heidenspaß. – Eigentlich würde W. Frei auch gern ein Buch über seine Traum-Stadt Wien schreiben, aber da gibt es schon viel, viel mehr Lobeserhebungen auf dem Markt als über unser, unser geliebtes (manchmal auch nicht so geliebtes) Oberland.