SCHELKLINGEN / ULM (vf) Im Erdgeschoss des Ulmer VHS-Gebäudes Ist derzeit eine Ausstellung über junge Menschen zu sehen, die während des Dritten Reichs ohne Begeisterung oder überhaupt nicht mitmarschierten. Man sieht bildliche und textliche Hinweise auf die Geschwister Scholl, ihren Freundeskreis „Weiße Rose“ und auf eine Reihe anderer, wenig bekannter Junger Menschen aus dem Raum Ulm. Und dann sind da Fotos eines jungen Mannes, der seit damals bis heute In Schelklingen wohnt. Roman Sobkowiak. – Wir unterhielten uns mit dem bald Achtzigjährigen und erlebten einen Menschen, der aus jener Zeit lebhaft, bildhaft und so präzis erzählt, als sei alles gerade erst passiert.
Während die meisten Deutschen heute froh seid, dass diese Zeit immer weiter wegrückt und immer eher vergessen werden kann, weil die sogenannte Vergangenheitsbewältigung ein unschönes, eigentlich gar nicht mögliches Geschäft ist (am besten „bewältigen“ wir wohl, indem wir darauf achten, dass in unserem heutigen Staat nicht ähnlich wie damals gehandelt wird), während wir uns also im allgemeinen ungern an jene Zeit erinnern, erzählt da ein Senior in einem bescheidenen Haus in der Schelklinger Altstadt lebhaft von eben dieser Vergangenheit und seinen Erlebnissen damals. In seiner polnischen Heimat, in Ulm und in Schelklingen in allen Einzelheiten, er illustriert seine Schilderungen auch mit Fotos.
Ein begeisterter Knipser, einst, heute und bei jeder Gelegenheit
Der junge Roman wurde am 11.8. 1923 als Kind einer polnischen Bürgersfamilie in Szkaradowo geboren. Schon als Junge war er ein begeisterter Knipsen; er blieb es auch in seiner späteren (Zwangs-, dann Wahl-)Heimat Schelklingen Er fotografierte alles und jedes, trotz Verbot und Gefahr die Wohnsituation im damals Umerziehungs- und Eindeutschungslager Schelklingen ebenso wie heute die geselligen Unternehmungen der Schelklinger Museumsgesellschaft. Seine Fotos von damals und seine heutigen Videofilme von heute wecken wertere Erinnerungen in ihm schöne und unschöne.
200 Seiten Erinnerungen warten auf die Veröffentlichung
Roman Sobkowiak hat seine Erinnerung und Erzählergabe auch genützt, um an Schulen (in Ulm, in Schelklingen scheint er weniger gefragt zu sein) jungen Leuten von jenen Zeiten zu erzählen, an die sich die meisten Deutschen nicht gern erinnern. Er hat seine Erinnerungen auch in einem enggeschriebenen Zweihundert-Seiten Manuskript niedergelegt: Ein Exemplar befindet sich im Schelklinger Stadtarchiv, eines in der KZ-Gedenkstätte „Oberer Kuhberg“ Ulm. Heute zugleich ein Dokumentationszentrum für die Geschichte des Dritten Reichs in unserem Raum Roman Sobkowiak sähe diese Erinnerungen gern gedruckt (es sind noch Sponsoren nötig), er wünscht sich aber, dass Zuvor ein Genauigkeitsfanatiker den Text überprüft: Sobkowiak ist ein Genauigkeitsfanatiker; er möchte, dass jede Angabe hieb- und stichfest ist und ihm keiner (dem es wohl gar nicht um die Sache, sondern ums Heruntermachen von Zeitzeugen geht) nach einer Veröffentlichung auch nur einen winzigen Erinnerungsfehler nachweist.
„Berichte ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter“ 1996
Ein kleiner Ausschnitt aus diesen Erinnerungen ist bereits gedruckt, in einer Veröffentlichung des Ulmer Dokumentationszentrums herausgegeben von dessen Leiter Dr. Silvester Lechner im Oktober 1996: „Schönes, schreckliches Ulm – 130 Berichte ehemaliger polnischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in den Jahren 1940 bis 1945 in die Region Ulm/Neu-Ulm verschleppt worden waren“. Sobkowiak schildert die Vertreibung seiner Familie aus der polnischen Heimat, unter Hinterlassung allen Eigentums und binnen einer halben Stunde 1941, und die Verschleppung nach Deutschland, in das zwangsgeräumte Anwesen wurden Deutsche aus den Ostgebieten eingewiesen. Eine seiner Schwestern, die mit einem Lehrer verheiratet war, wurde ins Innere des „Generalgouvernements“ verschleppt und starb 1943, getrennt von ihren kleinen Kindern. Ein Bruder Romans wurde von Deutschen in verschiedene Konzentrationslager gesteckt und überlebte das KZ Dachau bis zur Befreiung 1945 durch US-Soldaten. Die übrige Familie Sobkowiak überlebte in Schelklingen unter zunächst bescheidensten und entwürdigenden Umständen. Roman auch unter Androhung der Erschießung, weil er sein verbotenes – Hobby Fotografieren behielt weil er Auslandssender abhörte (und denunziert wurde) und wegen seines (später zum Beruf gemachten) Faibles fürs .Schwarz-Senden“. Unser Gesprächspartner meint, er habe nur überlebt, weil er .blaue Augen und damals blondes Haar“ hatte und weil er seine seinen technischen Fähigkeiten auch für die damaligen örtlichen Machthaber von Nutzen
Roman bleibt als einzige der Familie und heiratet eine Schelklingerin
Während seine Geschwister und Eltern nach dem Dritten Reich nach Polen zurückkehrten, blieb Roman Sobkowiak in Schelklingen, weil er sich in eine Schelklingerin, Elisabeth Huber, verliebt hatte. – und weil Elisabeth ihn im Jahr 1947 heiratete. Frau Sobkowiak starb im Sommer 2001. Dass das Dritte Reich auch über sein offizielles (oft nur angebliches) Ende im Mai 1945 hinaus in mancher Hinsicht weiterbestand, das lässt sich auch an der Ehegeschichte Sobkowiak ablesen: Weil Elisabeth Huber einen nach Schelklingen deportierten Polen heiratete, wurde sie zur „heimatlosen Ausländerin“ erklärt. Sie musste unter Androhung einer Gefängnisstrafe eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Sie verlor ihr Wahlrecht und durfte nicht ins Ausland fahren. Erst 1960 erhielten die Sobkowiaks die Einbürgerungsurkunde.
(Anmerkung vf: Wie schlecht die heute Verantwortlichen in Deutschland und ihre Wähler die Lektion „Drittes Reich“ gelernt haben, zeigt sich daran, wie jetzt wieder mit einigen deutschen Frauen umgegangen wird, die Ausländer aus Nicht-EU-Ländern heiraten. Und auch sonst mangelt der deutschen politischen „Elite“ (aber auch Durchschnittsbürgern) die Erinnerung, wie hier in Deutschland auch nach dem Dritten Reich „gearbeitet“ wurde. Im Fall Sobkowiak sieht man: Es leben noch Menschen unter uns, die die nach-NS-deutsche „Ausländerfreundlichkeit“ erlebt haben.)
Wir empfehlen eine heimatgeschichtliche Foto-Ausstellung
Eigentlich verdient das Foto-Archiv von Roman Sobkowiak, dass es im Schelklinger Museum ausgestellt wird: Es enthält viele heute reizvolle Dokumente zur Schelklinger Stadtgeschichte, mit und ohne politischen Hintergrund: die Hausener Steige im, Winter so gut wie Schelklingerinnen, die mit Gepäck einem Luftschutzbunker im Schlossberg-Hang zu streben. Fotos zeigen den jungen Roman bei Scherzen mit seinen Altersgenossen, aber auch als Diphtherie-Kranken im einstigen Isoliergebäudes des Ehinger Kreiskrankenhauses. Sie zeigen auch viele heute nicht mehr vorhandene Details der Stadt Ulm. Durch Bekanntschaft mit dem Ulmer Fotografen Blumenschein gelang es dem jungen Roman damals, an Filmmaterial heranzukommen und seine Filme entwickeln und vergrößern zu lassen. R. Sobkowiak hat seine Fotos inzwischen auch im Computer in digitalisierter Form gespeichert; er schätzt die Zahl auf zehntausend.
Man kann sich vorstellen, dass er eine Auswahl aus diesen Bildern Geschichtsinteressierten am Bildschirm zeigt. Bilder eines später ermordeten Kriegsdienstverweigerers Wir haben aus dem Sobkowiak-Archiv zwei Bilder von ungewöhnlicher Bedeutung ausgewählt: Sie zeigen den als Kriegsdienstverweigerer hingerichteten Ulmer Jonathan Stark; das eine Mal mit seinem Vater, das andere Mal beim Zeichnen. Beide Fotos wurden von Roman Sobkowiak aufgenommen. Es sind einzigartige Dokumente. – Sobkowiak besitzt auch die beiden einzigen erhaltenen Zeichnungen aus der Hand des jungen, wenig später hingerichteten Lithographen J. Stark: eine Porträt-Zeichnung der Großmutter und Roman Sobkowiaks. Letztere Zeichnung wurde nicht mehr fertig, weil Jonathan inhaftiert wurde. J. Stark wurde am 1. November 1944 im KZ Sachsenhausen im Alter von 18 Jahren gehängt (vgl. Annedore Leber, Hg.: Das Gewissen steht auf, Mainz 1984). J. Stark war einer der wenigen jungen Menschen weitum, der tapfer genug war, trotz extremer „Unkosten“ an einem verbrecherischen Krieg nicht mitzumachen. Wie hatte Roman Sobkowiak hatte J. Stark kennen gelernt?.- Roman wurde 1942 bei der Ulmer Musikfirma Reisser zwangsbeschäftigt. Werkstattleiter dort war der Vater
von Johnny, Eugen Stark. Der Zeuge Jehovas nahm Roman häufig zu Arbeitsgängen mit, weil er sah, dass der junge Pole in der Firma ziemlich allein stand (klar: Ausländer, Polacke etc.). Eugen Stark nahm Roman auch zu sich nach Hause zum Essen.
Bildunterzeilen (leider sind die Bilder nicht gut genug reproduzierbar)
R. Sobkowiak bei der Eröffnung der Ulmer VHS-Ausstellung über junge Menschen, die im Dritten Reich naht begeistert mitmarschierten.
Jonathan Stark beim Zeichnen.
Der junge Lithograf zeichnete auch ein Portrait des jungen, damals sehr schmächtigen (ausgehungerten) Roman. Die Zeichnung hangt in der Schelklinger Wohnung von R. Sobkowiak als einziges Zeugnis dieser Art. das den Krieg und die Zerstörung Ulms .überlebt“ hat. Fotos: Roman Sobkowiak
Vater Eugen und Sohn Jonathan Stark. Roman Sobkowiak fotografierte die beiden 1943 in Ulm, bevor der Sohn als Kriegsdienst- und Führereid Verweigerer ins Gefängnis kam und 1944 ermordet wurde. R. Sobkowiak hatte Jonathan auf dem .Umweg“ über den Vater kennengelernt. E. Stark war Werkstattleiter bei der Ulmer Firma Rcisser.