31.12.2000 | Unser Land ist reich – und es hat auch Kehrseiten

(vf) Die Ehinger Heimatzeitung schließt mit der heutigen vierten Folge ihren Rückblick auf Ereignisse des Jahres 2000 im Raum Ehingen – Munderkingen – Schelklingen – Allmendingen ab.

Kultur. Bildung, Politik international:

Junge Ehinger Musiker fliegen nach Shanghai und konzertieren dort. Vermittler: ein aus Shanghai stammender Geigenlehrer.

Der SPD Bundestagsabgeordnete unseres Raumes Prof. Dr. Jürgen Meyer spricht in China vor Studenten über Grundrechte.

Mehrere junge Leute aus dem Raum Ehingen besuchen ein Jahr lang Schulen in den USA.

Die bisher höchste Ozonbelastung der Atmosphäre im Raum Ehingen

 wird Anfang Mai gemessen. Nicht nur Benzinmotoren in Autos und Lkws verursachen das Ozonloch, sondern auch die in Rasenmähern.

Der wohl größte Festzug des Jahres im Raum Ehingen zieht durch Rottenacker. Anlass: ein Jubiläum des Musikvoreins. Ein „wilder“ Festzug: im Juni schippern junge Leute bei Munderkingen auf zahlreichen Flößen und Booten die Donau hinab

Die Emerkinger Musiker« organisieren eine Rundfahrt von Oldtimern.

Der einstige Bahnhof Untermarchtal ist renoviert und zu einem Info-Zentrum für Radfahrer auf dem Donauradwanderweg umgebaut.

Entschädigung von Zwangsarbeitern des Dritten Reichs,

Nicht alle über 75-jährigen Firmen im Raum Ehingen machen mit, einige Firmen aber, die damals noch gar nicht bestanden, machen mit und spenden in die Entschädigungskasse.

Ein 60-Millionen-Mark-Auftrag ergeht im Mai aus Paris an Liebherr Ehingen.

Ein neuer Narrenverein in Rottenacker wählt als „historische Grundlage“ den Einsturz einer Donaubrücke vor 250 Jahren und als Folge zahlreiche Toten durch Ertrinken. Einige Zeitgenossen und sogar der Schultes finden einen solchen Anlass schrecklich geschmacklos. Die SZ kommentiert: Auch andere Fasnetsgruppen greifen schreckliche historische Tatbestände auf und müssen dann ebenfalls für fatal geschmacklos gehalten werden.

Verkehrsstopp. Jahrzehntelang bestand eine von Waldsee ausgehende und durch den Raum Ehingen führende Buslinie „Lindau Tübingen“, jetzt wird sie eingestellt.

Die „Produktion- von 35 Tonnen Kohlendioxid infolge Energieverschleiß soll durch ein neues „Lichtmanagementsystem“ in einer Sporthalle in Ehingen verhütet werden.

Die alte Emerkinger Molke steht schon lange leer; die Milch wird wie überall täglich vom Milchwerk per Lkw abgeholt. Die Gemeinde gibt jetzt eine ganze Menge Geld aus, um hier die Eröffnung eines dörflichen Lebensmittelladens zu ermöglichen. Früher wäre eine solche Investition undenkbar gewesen.

Anlieger wollen ein betreutes Wohnhaus für psychisch Kranke in Ehingen per Verwaltungsgerichtsurteil verhindern. Die Richter aus Sigmaringen tagen im Ehinger Rathaus. Die Anlieger unterliegen. Am Jahresende ist das strittige  Haus schon seit Monaten bezogen. Die befürchteten Untaten von Bewohnern sind bisher nicht verübt geworden.

Ein 1,7 Kilometer langer Bach bei Mühlen wird renaturiert: Betonschalen raus und Platz für Bachschlingen. – Eine ganze Reihe Bäche, die in den zwei, drei Jahrzehnten nach Kriegsende begradigt wurden und  betonierte Betten erhielten, werden jetzt wieder aus ihren „Korsetten“ geholt, unter anderem auch bei Oberstadion. Für die Ent-Naturierung und die ReNaturieruno wurden Steuergelder ausgegeben.

Ein katholischer Geistlicher aus Afrika wird neuer Rupertshofener Pfarrer.

Für die Erforschung des tropischen Regenwaldes von oben her entwickelt und baut die Ehinger Firma Glocker metallene Türme, die durch Drahtseilbahnen verbunden werden Vorübergehend sind die Türme im Ulmer Botanischen Garten aufgestellt.

Drei junge Leute aus dem Raum Ehingen verunglücken „im Winter bei der Rückfahrt von einem Disco-Besuch im Unterland. Zwei sterben gleich, ein drittes Opfer im Juni.

Der Bau dreier weiterer Windkraftanlagen bei Ingstetten wird im Juni geplant, jetzt, zum Jahresende, sind sie in Betrieb.

Konkursverfahren bei einer Schelklinger Bauunternehmung.

Neues Kulturzentrum. Das vor sich hin gammelnde alte Altersheim der Stadt Ehingen wird mit einem Millionenaufwand renoviert und modernisiert. Jetzt, im Sommer 2000, ist Eröffnung mit viel Musik. Per Liebherr-Autokran werden fünf Musiker übers Dach in den Innenhof gehoben. Eine Uraufführung gehört zum Programm.

Spitzenmusiker sind beim Ehinger Musiksommer im (ex-)“Franziskanerkloster“ zu hören. Ein neuer Theater- und Konzertsaal ist entstanden. Bilder eines aus Ehingen stammenden Berliner Malers werden in den Fluren zugänglich gemacht. Das Stadtarchiv erhält Platz und kann sich  Besucher-freundlich geben. Im Freigelände wird von Künstler Ludwig Lüngen ein Bronce-Brunnen gestaltet; er zeigt den Heiligen Franziskus; schließlich war das alte Altersheim zuvor einst Franziskaner-Kloster. Der Brunnen wird weitgehend durch Spenden finanziert.

Beim Untermarchtaler Jugendtag wird ein neukomponiertes Musical uraufgeführt.

Postkutsche aus dem Harz in Oberdischingen.

Ein Bauernsohn aus Ehingen, Erhard Mantz, baute in Jahrzehnten ein Transport-Unternehmen in Herzberg/Harz auf. Als Ruheständler renoviert er mit anderen Senioren eine Postkutsche. Per Tieflader lässt er sie samt Pferden nach Oberdischingen transportieren, um ein Gasthaus-Jubiläum aufzupeppen. Solche Transporte ebenso wie die in diesem Rückblick erwähnte Hochzeit in Sri Lanka und ganzjährige Schulbesuche in den USA sind ein Zeichen für den unvergleichlichen Anstieg des vergleichsweise breit gestreuten Wohlstands in den letzten Jahrzehnten in Deutschland ein Phänomen, das es in dieser Art in der deutschen Geschichte bisher nicht gab.

Der Zwiefaltendorfer Donaubrücken-Neubau wird durch die Aufstellung einer Christophorus-Statue des Ertinger Künstlers Jeggle akzentuiert.

Das Leben der Libellen in Alaska und am Schmiechener See wird von einem angehenden Schelklinger Biologen untersucht.

Die SZ kann eine Serie unter dem Motto „Selbstständige Ausländer im Raum Ehingen“ initiieren. Auftakttext: zwei türkische Brüder, die in Schelklingen einen Stukkateurbetrieb aufgebaut haben.

Public Relation. Ein slowenischer Schwimmer will die ganze Donau vom Ursprung bis zur Mündung hinabschwimmen, natürlich mit Unterbrechungen. Er kommt auch durch den Raum Ehingen.

Tierart-Rettung. Ehinger Fischer setzen mit hohem Geldaufwand 80.000 „Nasen“ in die Donau ein, um eine vom Aussterben bedrohte Tierart zu retten. Das einstige Altersheim der Stadt feierte im zu Ende gehenden Jahr fröhliche Urstände, als „Ehinger Kulturzentrum“. Und sogar ein Brunnen wurde wieder errichtet, diesmal mit einer Figur, den Heiligen Franziskus darstellend, der an den im Gebäude einst tätigen Franziskanerorden erinnern soll.

Bild: Die hier wiedergegebene Zeichnung stammt vom gleichen Künstler, der auch die Brunnenfigur entwarf, von Ludwig Lüngen. Den Auftrag zur Zeichnung gab die Ehinger Volksbank.

16.12.2000 | Ein Buch der regionalen Kulturgeschichte – jetzt wieder verfügbar

EHINGEN / WEISSENHORN (vf) – Im Weißenhorner Anton-H.-Konrad-Verlag ist, wie an dieser Stelle notiert, der Nachdruck einer Reihe Liedertexte erschienen, die vor fast vierhundert Jahren von dem aus Ehingen stammenden Schriftsteller Jacob Bidermann zusammengetragen worden sind. – Am Donnerstagabend wurde die Neuherausgabe gefeiert – als Versuch, für eine ungewöhnliche verlegerische Tat ein wenig Publicity, Publizität, zu gewinnen. – Verleger A. H. Konrad überreichte das „erste Exemplar“ der Neuerscheinung einem Förderer dieser Ausgabe, dem Landrat des Alb-Donau-Kreises. Wolfgang Schürle hat seinen Doktorhut mit einer Arbeit im Schnittbereich von Geschichte, Recht und Wirtschaftswissenschaft erworben und unterstützt seit vielen Jahren die Buch-fundierte Befassung mit heimischer Geschichte.

Mit der Neuherausgabe der Liedtext-Sammlung „Himmelglöcklein“ wurde nun eines der zahlreichen Werke Bidermans wieder zugänglich gemacht. Zwar gilt Schwer-Zugänglichkeit von den meisten Bidermann-Texten, aber in verschiedenem Ausmaß; an einen Nachdruck des berühmtesten Dramas von Bidermann, „Cenodoxus“, kommt man leichter dran; von den „Himmelgöcklein“ existieren weltweit nur wenige Exemplare. Ebenso schwer zugänglich
sind Bidermanns lyrische und epistolographische (briefstellerische)  Werke, und um eine genaue Auflistung aller Werke zu erhalten, musste man lange Zeit – oder muss es wohl immer noch – Speziallexika der Literaturgeschichte des Jesuitenordens zu Hilfe nehmen. Nun gibt es also 500 Exemplare des „Himmelglöcklein“ – nicht gerade viel. Aber die Verantwortlichen nehmen aus Erfahrung an, dass es keinen Run auf solche alten Schinken gibt, auch wenn diese jetzt von erläuternden Texten erhellt einherkommen und auch wenn man kein steinaltes Papier mehr anfassen muss, um sie zu lesen.

Anton Konrad schilderte am Donnerstagabend in der Lindenhalle den Zustand, in dem sich das einzige Exemplar der dritten Auflage befindet, das heute noch weltweit aufzutreiben ist: Es sieht ziemlich gebraucht aus.

Anton Konrad gab auch ein bisschen Reproduktions-Geschichte zum Besten. Der technische Fortschritt, im vorliegenden Fall von der ReproKamera zum Scanner, sei nicht nur von Vorteil, so Konrad: Zwar war eine solche Repro-Kamera, wie sie früher für das Reprint eines alten Buchs nötig war, ein teures und unhandliches Gerät und ist inzwischen – meist: gottseidank – von den sogenannten Scannern abgelöst, deren billige Exemplare man im Supermarkt um die Ecke für 100 Mark kriegt. Aber die Scanner, mit denen heute eine alte Buchseite abgelichtet wird, bevor die elektronische Datenmenge an die Druckmaschinen weitergereicht wird, diese Scanner arbeiten anders als Fotoapparate und: Sie arbeiten zu gut: Sie nehmen alle Schmutzspuren auf einer Buchseite mit auf und auch die Buchstaben der Rückseite, deren Druckfarbe durchs Papier durchschlug. Und so muss deshalb eine Seite nach der anderen nach dem Einlesen in den Scanner ausgiebig bearbeitet (gewissermaßen: retuschiert) werden, bis sie angenehm lesbar geworden ist.

Immerhin, wenn nun ein Run auf die 500 Exemplare einsetzt und Verleger und Alb-Donau-Kreis nicht auf einem großen Teil der Auflage sitzen bleiben, so ist ein weiterer Nachdruck jetzt, mit den heutigen elektronischen Speichermöglichkeiten, unvergleichlich leichter zu bewerkstelligen als je zuvor.

Einer, der mit der Druckfertigmachung sicher viel zu tun hatte, saß an diesem Abend still und bescheiden im Publikum: der in Oberdischingen lebende technische Mitarbeiter des Konrad-Verlags Werner Kreitmeier. – Unter den Gästen befand sich auch einer der ältesten noch lebenden Ehinger Gschtudierten, Franz Schad, Jahrgang 1907, Sohn eines einst für seine Gelehrtheit bekannten Ehinger Gymnasiallehrers und allem nach später nicht nur „der Sohn von…“, sondern selbst ein „Fässle“. Das „zweite“ Exemplar der Neuherausgabe erhielt an diesem Abend der Volksliedforscher Otto Holzapfel, Leiter des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg; er hat einen erläuternden Beitrag zu dem neuen Buch beigesteuert. Der m i t-erläuternde hochbetagte Germanist Hans Pörnbacher war für diesen Abend  als Referent vergeben, er war bei einem Kongress in Sachsen.

Der Kirchenchor von St. Michael trug unter Leitung von Wolfgang Gentner einige der Lieder vor, deren Texte in der Neuausgabe nachzulesen sind. Der Chor erfüllte seine Aufgabe sicher und mit einer angenehmen Balance zwischen Nüchternheit und Emphase. Der Schauspieler Walter Frei las weitere Strophen texte vor, damit der Gesangsteil nicht zu lang gerate. Zu den vorgetragenen geistlichen Liedern gehörte auch – jahreszeitlich angemessen – eines über die keusche Jungfrau Maria, die; trotz höchst erwünschter Keuschheit, Reinheit… schwanger wird. Dieses Lob der Keuschheit und Reinheit sangen an diesem Abend zahlreiche Frauen, die durchweg Mütter sind, ohne deshalb auf die ehrenden Beiworte „Unberührtheit“ und „Reinheit“ Anspruch nehmen zu können, und zahlreiche Männer, die ihren Ehefrauen diese Unkeuschheit vermutlich auch mal angetan haben. Kurz: In den abgedruckten und jetzt vorgetragenen Liedtexten wird eine  traditionelle christliche Sexualmoral gefeiert, die vielen Zeitgenossen heute fern geworden ist und die es wohl auch erschwert, dass viele Zeitgenossen sich heute noch durchweg für Bidermann-Texte erwärmen. Diese Traditionen-Last religiöser Texte mag es auch verständlich machen, dass (von aller neueren Bild- und Klang-Sucht und allem neueren Analphabetentum abgesehen) wir Heutigen viel lieber Bilder aus der Barockzeit anschauen und Instrumentalmusik aus der Barockzeit anhören als barocke, religiös gestimmte Texte lesen.

Bild: Der Kirchenchor von St. Michael sang Lieder, deren Texte in der Neuherausgabe vollständig, das heißt: in voller Länge, abgedruckt sind.

Bild: Das Schmuckbild des Schutzumschlags der Neuerscheinung zeigt musizierende Engel aus einem Fresko der Wallfahrtskirche Maria Berg bei Breiten-Haslach im oberbayerischen Ruperti-Winkel. – Verleger A. Konrad nannte am Donnerstagabend beiläufig den Ursprungsort – vielleicht auch deshalb, weil das in der Neuhausgäbe zu nennen versäumt wurde. Rechts: Verleger Anton H. Konrad übergibt das „erste“ Exemplar der Neuerscheinung an einen Mann, der Spendengeld für den Nachdruck bereitstellte, den Landrat des AIb-Donau-Kreises, Dr. Wolfgang Schürle.

08.12.2000 | Liedtext-Sammlung von J. Bidermann neu aufgelegt

EHINGEN / WEISSENHORN (vf) – Mit wesentlicher Unterstützung des Alb-Donau-Kreises bringt der Weißenhorner Anton-H.-Konrad-Verlag eine Sammlung geistlicher Lieder aus dem 17. Jahrhundert neu heraus, das Liederbuch „Himmelglöcklein“. Die Neuerscheinung wird am Donnerstag, 14. Dezember, 19 Uhr, in der Lindenhalle öffentlich vorgestellt. Die Veranstaltung wird umrahmt mit vier Chorälen aus dem an diesem Abend präsentierten Band. – Walter Frei liest einiges vor.

Einige der Texte stammen von dem aus Ehingen stammenden Dichter und Theologen Jacob Bidermann selbst; der einstige Professor in Dillingen tat sich durch eine Reihe Dramen meist religiösen Inhalts hervor und beendete seine Laufbahn im Jesuitenorden als dessen Oberzensor in Rom.

Die Mehrzahl der Texte in der Neuerscheinung wurde von Bidermann nicht verfasst, sondern aus anderen Sammlungen übernommen. Zu seiner Zeit kam diese Liedtext-Sammlung gut an und erschien in wenigstens sechs Auflagen. Heute gibt es nur noch von einigen dieser Auflagen Exemplare in Universitätsbibliotheken.

Die Neuherausgabe wird von erläuternden Texten begleitet. Sie stammen von Germanistik-Professor i. R. Hans Pörnbacher, Wildsteig, und von Prof. Otto Holzapfel vom Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg; beides sind ausgewiesene Fachleute.

In einem Geleitwort weist Landrat Dr. Wolfgang Schürle darauf hin,  dass in den letzten Jahrzehnten in Deutschland sehr viel für den Erhalt und die Pflege barocker Kunst, Architektur und Musik, aber wenig für die Pflege und Bekannthaltung barocker Dichtung getan wurde. Diesem Missstand und dem geschichtlichen Interesse an bedeutsamen Hervorbringungen aus unserem engerem Raum möchte die Neuherausgabe der Bidermann‘schen Liedertextsammlung dienen. Von Vorteil ist, dass die Neuerscheinung großteils deutsche (Original-)Texte enthält, während Bidermanns eigene Hervorbringungen meist in Latein geschrieben waren.