31.12.2002 | Blick ins Angebot der Ehinger Museumsgesellschaft im neuen Jahr: Dichter, Wälder, Wasser und Wässerchen

EHINGEN (vf) – Die Museumsgesellschaft ist vor allem ein Verein für andere, für Nicht-Mitglieder. Was sonst staatliche und städtische Institutionen mit Steuergeld abwickeln, geschieht hier ehrenamtlich. Der Verein legt ein erneut sehr beachtliches Jahresprogramm vor, für 2003. Vf wirft einen Blick ‘rein. Anzukündigen sind außergewöhnliche Ausstellungen, Führungen, Vorträge und mehr.

Derzeit „läuft” noch die Weihnachtsausstellung im Museum (bis Mitte Januar), mit Plüschbären aus einer Ringinger Sammlung.

An einem sinnreichen Tag, dem 2. Februar (Maria Lichtmess), ab 14 Uhr, führt Pfarrer Burkhard Keck durch die Liebfrauenkirche: an einem Marienfesttag durch eine Marienkirche.

Die erste Ehinger Ringstraße

Am 3. Sonntag im Februar, dem 16., ab 11 Uhr, führt Rudolf Schrodi, als über Achtzigjähriger noch immer unermüdlich, durch die Lindenstraße, diese erste große Straße der Stadt außerhalb der im 19. Jahrhundert abgebrochenen Stadtmauer. Durch den Wall und den Graben davor war der Verlauf der neuen (Halb-)Ringstraße zwischen Glockenplatz und Altem Spital, vorgezeichnet. Wie in vielen Städten Europas wurde solche neuen Wall- oder Ringstraßen auch das erste Baugelände für repräsentative Verwaltungs- und Wohnbauten. „De bessere Leit” oder was sich dafür hielt, zog dort hin; es gab erstmals viel Platz um die Häuser; italienische Villenbauten waren das (bewusste oder nicht-bewusste) Vorbild. Für Freitag, 21. Februar, macht der Verein eine Besichtigung des erweiterten Liebherr Werks möglich. Mitglieder   der Museumsgesellschaft haben bekanntlich erst vor einigen Wochen ein Buch über Ehingen auch als Wirtschaftsstandort herausgebracht. Mehrere Mitglieder des Vereins waren oder sind in großen Firmen der Stadt beschäftigt.

Hopfenanbau – auch bei Fegers

Ulrich Köpf erinnert bei einem Stadtrundgang am 23. März an einen vergangenen und ziemlich vergessenen wirtschaftlichen Aspekt der Stadt, den Hopfenanbau, die damit verbundenen Hopfenhäuser und die Brauereien. – Kleine Anmerkung, weil wenig bekannt: Auch das – 1959 – abgebrochene Vorgängergebäude der Ehinger SZ-Technik hinterm Schlüssle diente ursprünglich überwiegend dem Hopfentrocknen. Im Parterre befanden sich Setzerei und Druckerei, die Anzeigenannahme, ursprünglich auch der Stall für ein Pferd, das (vor der Elektrifizierung) die Druckmaschinen antrieb, die Hälfte des ersten Stocks war bereits Hopfentrocknungsfläche, die beiden darüber liegenden weitläufigen Geschosse ebenfalls, jedenfalls einige Zeit. Der Hopfen dafür war im Wolfert Gebiet angebaut worden. Das Gebäude war großteils eine Fehlspekulation. Der Ehinger Hopfen setzte sich nicht durch gegen traditionelle Hopfenanbaugebiete wie das bei Tettnang und in der bayerischen Hallertau. Alb-Donau-Archivar Jörg Martin wirft am 28. März einen Blick auf die Geschichte des Oberamts und Landkreises Ehingen zwischen 1810 und 1972 (als der Kreis mit dem Raum Ulm zum Landkreis AD zusammengelegt wurde und Ehingen damit zwar die Eigenschaft „zentraler Verwaltungsort” verlor, aber die einwohnerzahlreichste Stadt auch des neuen Landkreises blieb. Am Sonntag, 30. März, bieten Verein und VHS eine Busfahrt zur Neuen Pinakothek in München an.

Am Samstag, 5. April, führt Winfried Hanold, ausgewiesener Kenner der Erdgeschichte unserer engeren Heimat, unter dem Motto „Die Schmiech im Donautal” durch das einstige Donautal: Die Urdonau floss vor Jahrtausenden durch das (jetzige) Schmiech- und Aachtal (also „vorbei” an den nicht mal schattenhaft existierenden Städten Schelklingen und Blaubeuren nach dem ebenfalls nicht existierenden Ulm (kuriose Formulierung). Die begeisterte Kleidersammlerin und -ausstellerin Gabriele Bauer-Feigel {Granheim/Stuttgart) zeigt einiges von ihren Schätzen während des Monats April im Ehinger Museum.

Stichwort: „Abend- und Cocktailkleider im Wandel der Zeit”. Dazu wird Gisela Sporer von ihr gesammelte Handarbeitsdecken auslegen.

Das Thema „Brauereien” wird erneut am 9. April akut: Anne Hagenmeyer bittet darum, Erinnerungen ans Brauen und was damit zusammenhängt (vielleicht auch ans Trinken?) im Ehinger „Erzählcafé” auszuplaudern. Wohl bekomms!

Am Nachmittag des 5. Mai können Kinder im Museum miterleben, wie einst Papier hergestellt wurde, durch Vorgänge wie „schöpfen” und „gautschen”.   Zu  diesem Zweck kommt das „Museum im Koffer” aus der einstigen Papiermacherstadt Nürnberg nach Ehingen.

Jakob-Locher-Spezialistin spricht

Prof. Dr. Dora Dietl kommt am 7. Mai aus Tübingen nach Ehingen und spricht über den aus Ehingen stammenden Schriftsteller Jakob Locher. Die Ehinger SZ hat im Sommer auf die Tübinger Forscherin aufmerksam gemacht, .die „auf dem Umweg” über Jakob Locher eine „ordentliche” Professorin werden will. Aufgrund seiner Telefongespräche und e-mails mit der Literaturwissenschaftlerin darf vf einen nicht staubtrockenen, sondern amüsanten Vortrag über einen bald fünfhundert Jahre toten Mann versprechen.

Ein wahrer Literatur-Ansturm

Gleich zwei Tage später schon wieder „Ehinger Literatur satt”: Prof. Dr. Hans Pörnbacher, hochbetagter Germanist, kommt nach Ehingen und spricht über den Jesuitendramatiker Jakob Bidermann. Pörnbacher hat viel zur „Wiederentdeckung” und Würdigung regionaler Literaturgrößen beigetragen. Unter anderem hat er ein Buch über den aus Nördlingen stammenden, zeitweilig in   Oberstadion   tätigen Jugendschriftsteller Christoph von Schmid verfasst. Seinen schon vor langem erworbenen Verdiensten verdankt der zeitweilige Germanistik-Professor der Universität Nijmwegen, dass er kürzlich in ein Gremium von Herausgebern vergessener oder schwer zugänglicher   regionaler Literatur gewählt wurde. Die Vorträge von Dietl und Pörnbacher haben mit dem Edierunqs- und Ausstellungsprojekt zu tun. Die sponsernde OEW und die Uni Konstanz   mit ihrem Germanisten Prof. Gaier stellen vom 27. April bis 9. Juni in Blaubeuren „Literatur vom Neckar bis zum Bodensee, 1200 bis 1800″ aus. Der erste Band der Edition betraf (wie an dieser Stelle notiert) einen Ehinger, eben Jakob Bidermann: Der einstige Ehinger Gymnasiast Christian Sinn übersetzte und erläuterte eines der lateinisch verfassten Bidermann‘schen Dramen neu).

In Zusammenhang mit der Blaubeurer Ausstellung und den Ehinger Vorträgen steht ein weiterer Auftritt des „Museums im Koffer”: Ehinger Kinder können erleben, wie im Mittelalter geschrieben wurde, mit Federkielen, mit aus Asche angerührter Tinte – und vor allem mit einem dafür heute zunehmend verpönten Körperteil – mit der Hand.

An zwei Abenden, 12./13. Mai, wird Walter Frei aus Werken von Jakob Bidermann und Jakob Locher vorlesen. Vorträge und Lesungen finden im ehemaligen Franziskanerkloster statt.

Trink, Brüderlein, trink!

Nun geht’s dieses Jahr schon um den Hopfen und die Brauereien. Am 14. Mai dürfen, ja sollen wir uns in Anne Hagenmeyers „Erzählcafé” an einstige (und vielleicht auch gegenwärtige) Ehinger Gastwirtschaften erinnern. Nicht viele frühere Gasthäuser haben überlebt (um einige zu nennen: Schwanen, Glocke, Sonne, Schwert, Paradies, Deutscher Kaiser, Stern, Rößle, Neues Haus, Fischersteige).

Der 18. Mai ist der internationale Museumstag. An diesem Sonntag werden auch im Ehinger Museum auf allen Ebenen Führungen angeboten.

Von April bis Oktober ist in Schussenried eine große Landesausstellung, über die 200 Jahre zurückliegende sogenannte Säkularisation. Aus diesem Grund befasst sich Stadtarchivar Dr. Ohngemach am Montag, 19. Mai, in einem Vortrag im Museum mit der Geschichte der Franziskanerklöster in Ehingen: Beide Klöster fielen bekanntlich Säkularisierungen zum Opfer, zu verschiedenen Zeiten: Das Frauenkloster lag im Groggental; seine Gebäude sind vom Erdboden „verschwunden”; das Männerkloster wird heute wieder durch den Namen erinnert, so, als ob’s noch existierte’ Dabei sind uns Heutigen klösterliche Lebensformen recht fremd. Wenn schon, darf’s ein bisschen Buddhismus sein.

Neue Herren, neue Kirchengemeinde

Das Thema Kirchengeschichte reicht weiter, mit einer Fahrt zu der Schussenrieder Ausstellung und vor allem mit einer Ausstellung in Ehingen zur Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde. Mit dem Aufziehen der neuen – württembergischen – Herren, Anfang des 19. Jahrhunderts, kamen auch „Lutherische” nach Ehingen. Seit genau 150 Jahren besitzt Ehingen eine eigene evangelische Gemeinde mit einem eigenen Pfarrer; 125 Jahre alt ist die Kirche an der Lindenstraße und mit Hilfe des lutherischen Königs von Württemberg bekam die Gemeinde ein stattliches Wohnhaus für ihren Pfarrer – an eben jener Lindenstraße, von der weiter vorn schon mal die Rede war. Die Ausstellung „Neue Herren – neue Konfession in Ehingen” dauert vom 25. Mai bis 18. Juni. Für Ende Mai ist eine Führung durch das Technik-Museum der Familie Schöttle bei Mundingen vorgesehen. Das Stichwort „Alte Klöster – neue Herren” wird erneut aufgetischt, am 28. Juni, auf originelle Art. Galerist Ewald Schrade führt durch die einstige Probstei des Klosters Zwiefalten, in der er heute seine Bilder zeigt; der Ehinger Forstfachmann Josef Stauber führt durch die einstigen Klosterwalder.

Klöster waren ja nicht nur land-, sondern auch waldwirtschaftlich tätig und haben viel getan für die Kultivierung (ein mit Überlegung verwendetes Wort) unserer Landschaft. Damit‘s nicht zu lang wird, erwähnen wir aus dem Programm des zweiten Halbjahres die Ausstellung im Herbst, über die Wasserver- und Entsorgung in Ehingen.

13.12.2002 | Ein Deutschlehrer erinnert

EHINGEN Die Ehinger SZ berichtete am 6. Dezember über die literarischen Erfolge des aus Öpfingen stammenden Autors Andreas Eschbach. In den Angaben zur Person war eine Erinnerung Eschbachs an seine Ehinger Gymnasialzeit wiedergegeben. Der Steppke und Aufsatzschreiber Andreas fühlte sich damals als Schüler nicht genügend gefördert durch seinen damaligen Deutschlehrer. Einer seiner Deutschlehrer, Hermann Schmid, las jetzt in der Ehinger SZ diesen Erinnerungstext und schrieb einen Brief an den Ehinger SZ-Mitarbeiter vf, der diesem beim Lesen echt Spaß machte und den abzudrucken ihm der Verfasser H. Schmid auf Nachfrage erlaubte. Das geschieht hiermit.

Prolog (sinngemäß aus Max Frischs „Tagebuch 1946- 1949“): Eine Lehrerin sagte zu meiner Mutter, sie werde nie stricken lernen. Meine Mutter erzählte uns jenen Ausspruch oft; sie hat ihn nie vergessen, nie verziehen; aber sie ist eine leidenschaftliche Strickerin geworden. Ich sage heute: Alle Strümpfe und Mützen, die Handschuhe, die Pullover, die ich je bekommen habe, am Ende verdanke ich sie allein jenem ärgerlichen Orakel!…“

Zitat aus: Veit Feger, „Andreas Eschbach veröffentlicht seinen ersten Roman – weitere folgen“, Schwäbische Zeitung, 7.9.1995: „Als 13-jähriger schrieb er am Ehinger Gymmi Science-Fiction-Geschichten für die Kumpels, zum Missfallen des Deutschlehrers, […] mit 13 begann er, selber erste Science-Fiction-Geschichten zu schreiben. Die kursierten dann in der Schulklasse. Einmal wurden sie dort vom Deutschlehrer beschlagnahmt, der sie ihm anderntags wortlos, ohne jeden Kommentar, zurückgab.“

Aus: Anne Hagenmeyer, „Vom Ehinger Gymmi zum Erfolgsautor“, Schwäbische Zeitung, 6. 12. 2002:

„Auf Eschbachs Internet-,Seite‘ findet sich die Rubrik , Erinnerungen’. Dort beschreibt er, wie ein Deutschlehrer ihm eines Tages ein Manuskript abnahm und Tage später mit einem verächtlichen ,Na ja’ wieder auf den Tisch legte. – Eschbach schreibt seit seinem zwölften Lebensjahr Geschichten; heute meint er rückblickend, es wäre die Aufgabe des Deutschlehrers gewesen, ihm beim Schreiben zu helfen. […] Trotz der mangelnden Unterstützung in der Schule ist Andreas Eschbach ich an einen potentiellen Schüler ist Eschbach beim Schreiben geblieben.“

Ein Ehinger Deutschlehrer bekommt heute, wie damals der Schüler Andreas Eschbach, ein mulmiges Gefühl – dieser Deutschlehrer könnte doch nicht etwa er selbst gewesen sein? Er weiß, dass er dereinst Andreas Eschbach als Schüler hatte. Er eilt in sein Arbeitszimmer und sucht unter inzwischen über 30 Lehrerkalendern mit den Noten die entsprechenden Bände heraus – und tatsächlich: Andreas Eschbach musste von Klasse 11 bis zum Abitur seinen Deutschunterricht ertragen!

Der Deutschlehrer erinnert sich, einmal von Andreas Eschbach einen Text gelesen zu haben, und erinnert sich auch, dass er diesen damals tatsächlich nicht besonders gut fand, was natürlich auch eine Geschmacksache ist – Science-Fiction allgemein muss nicht jedermanns Geschmack sein! Wenn Andreas Eschbach diesen Text noch hat, findet er ihn vielleicht inzwischen auch nicht mehr so genial.

Was dem Deutschlehrer nun Sorgen macht, ist seine mangelnde Erinnerung, auf welche Art er den Text zurückgegeben hat – „wortlos“ oder mit einem „verächtlichen ,Na ja’ „ (siehe oben)!? Wenn tatsächlich die neuere Version, die zweite, stimmen sollte, möchte ich um Entschuldigung bitten – und auf Max Frisch verweisen: Wenn meine Handlungsweise bei Andreas Eschbach die Reaktion hervorrief: „Dem zeig ich‘s aber!“, dann ist dies ja ein Ansporn zum Schreiben gewesen – und ein effektiver!

Ich weiß aus eigener Schülererfahrung, dass Lehrerworte verletzen können (wobei Ironie auch die verzweifelte Waffe eines Lehrers gegen Schülerverhalten sein kann!), aber vielleicht sollte man nach mehr als 24 Jahren eine frustrierende Erfahrung verarbeitet haben.

Vielleicht sollte sich Andreas Eschbach klar machen, dass Science-Fiction-Literatur im Deutschunterricht der Oberstufe – zumindest damals – keinen großen Stellenwert hatte und der Deutschlehrer insofern nicht unbedingt zuständig war für die Schreibversuche eines Schülers. Ich kann mich auch, nicht erinnern, dass Andreas Eschbach zu erkennen gab, dass er zum Schreiben seiner Texte der Hilfe des Deutschlehrers bedurfte. Es ist mir deshalb nicht ganz klar, weshalb diese Klage heute noch im Internet und in der Zeitung verbreitet werden muss.                      

Bei der Beurteilung der schriftstellerischen Versuche von Andreas Eschbach mag ich mich getäuscht haben – er kann sich aber nicht beklagen, in seinen Schülerleistungen von mir ungerecht behandelt worden zu sein! In meinen Notenbüchlein steht für die Jahre 1976 bis 1978 jeweils die Note 2, der Abitursaufsatz wurde mit 1,5 bewertet – kein Grund also, Vorurteile über Lehrer zu verbreiten!

Epilog I Vielleicht wird Andreas Eschbach versöhnlich gestimmt, wenn er weiß, dass sein früherer Deutschlehrer inzwischen seine Bücher kauft und liest und sein Jesus-Video“ im Fernsehen anschaut. – Und: Ich besitze heute noch eines der 30 Exemplare seines Erstlings „Die Adler sind gelandet“ – von ihm handsigniert! – Ist das nicht ein Grund, die unselige „Ehinger Deutschstunde“ endlich in etwas gnädigere Gefilde der Erinnerung aufgehen zu lassen? – Ich lade Andreas Eschbach ein, zu einer Lesung in seine frühere Schule zu kommen – dann gibt es hoffentlich einen verzeihenden und versöhnlichen Handschlag!                                 Hermann Schmid

08.12.2002 | Bibliotheca Suevica und Jakob Bidermann

EHINGEN / KONSTANZ (vf) – Der erste Band einer neuen Buchreihe mit erstmals bereits vor langer Zeit erschienenen, heute kaum mehr greifbaren Texten aus unserem geliebten Schwabenland liegt vor. Und dieser erste Band gilt ausgerechnet einem gewesenen Ehinger, dem Jesuiten und Schriftsteller Jakob Bidermann. Eines seiner Dramen aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts ist nun also erneut im lateinischen Urtext einer Ausgabe von 1666 nachgedruckt und, gar von einem einzigen Ehinger Gymnasiasten, ins Deutsche übersetzt und mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen.

Der Titel des Bidermann‘schen Theaterstücks, „Cosmarchia sive Mundi Respubltca“. drückt griechisch und lateinisch etwas aus, was man vielleicht so übersetzen kann: .Der Staat als Welt“ oder .die Weh ab Staat“. Der Übersetzer Christian Sinn übersetzt diesen lateinisch-griechischen Doppelte! mit Welt-Herrschaft“.

Nach Ansicht des Verfassers dieser Zeiten möchte Bidermann zeigen, wie’s in der Menschenwelt zugeht, nämlich nach dem Sprichwort „Undank ist der Welt Lohn“ und .Handle entsprechend“. Vor allem aber Befolge die biblischen Empfehlungen: sammle Schätze nicht für diese Welt, sondern für die künftige (jenseitige). Und wenn du hier welche sammelst, nütze sie in einem christlichen Sinn, Diese gute Lehre soll aber nicht zu lehrhaft rüberkommen- wer mag schon gern ständig gereckte Zeigefinger sehen??, also erfindet auch Bidermann halbwegs amüsante Szenen.

Jakob Bidermann gibt gleich im Untertitel seines Dramas an, von wem er die Story für sein Drama bezieht, aus dem einst berühmten philosophischen Roman „Bariaam und Josaphat“ des syrischen Bischofs Johannes von Damaskus vom Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends. (Der Bartaam-Geschichte wurde übrigens nachgesagt, dass sie von indischen Darstellungen des Lebens Buddhas beeinflusst sei). Der lehrhafte Charakter des Theaterstücks wird pralöl deutlich daran, dass einige der auftretenden Figuren gleich den Namen dessen tragen, was sie vertreten, beispielsweise „Lust“, „Reichtum“, „Ansehen“, „Macht“, auch weitere Namen der Drama-Personen sind „sprechend“, wenn auch nicht ganz so blockig.

Verlegt wird das Buch von Klaus bete, Konstanz/Eggingen. Gedruckt ist die Übersetzung und das Nachwort in den alten (dem Verfasser dieser Zeilen ebenfalls mehr zusagenden) Rechtschreibregeln .von vor der Reform“, einer Art der Rechtschreibung, die die sponsernde OEW in ihren eigenen Verlautbarungen nicht mehr verwendet.

Ein Ehinger Lokalpatriot muss sich eigentlich freuen, wenn ein Text eines einst prominenten Ehingers wieder aufgelegt wird. Indes, die Begeisterung hält sich in Grenzen. Wer einen arten Schinken neu herausbringt, sollte ab Begründung nicht nur haben, dass das Buch auf dem Buchmarkt schwer käuflich ist oder dass ein einstiger Landesbewohner es
verfasst hat. Der gebildete Leser wünscht sich auch eine ausführlichere editorische Notiz als im vorliegenden Fall (wann und wo erschienen d# ersten Ausgaben?, was kennzeichnet die späteren Ausgaben und Übersetzungen und unterscheidet sie von der jetzigen?) So lesen wir beispielsweise in den Literaturhinweisen, dass ein Ettaler Benediktiner 1956 das Drama schon einmal übersetzte – mehr erfahren wir dazu nicht. Der durchschnittliche Leser (dazu rechnet sich der Verfasser dieser Zeilen) würde sich vermutlich über mehr Erläuterungen von Begriffen des Theaterstücks freuen, vor allem aber vielleicht eine Übersetzung vorfinden wollen, die nicht schon wieder den Geruch des 19. Jahrhunderts an sich trägt. Man stelle sich vor, heute sagt auf einer Theaterbühne A zu B: .Du Schurke!“ – Karl May lässt grüßen.

Vor allem aber darf der durchschnittliche Leser heute ein Nachwort erwarten, das halbwegs lesbar ist und nicht vor Fremdworten und Fachworten der inneruniversitären Text- und Sprachwissenschaft überquillt und deren wissenschaftliche Notwendigkeit vom Verfasser dieser Besprechung locker in Zweifel gezogen wird. Man gewinnt den Eindruck: Hier musste einer zeigen, dass er den Jargon drauf hat, koste es, was es wolle. Hier ist ein .Nachwort“ zu lesen, mit dem ein jüngerer Wissenschaftler – möglicherweise – belegen möchte, dass er zu einer Gruppe gehört, die eine bestimmte Spezial Sprache sicher sprechen und schreiben kann. Ein Dienst am durchschnittlichen, sogar am ziemlich gebildeten Leser ist ein solches Nachwort nicht. Als die neue Buchreihe angekündigt wurde, freute sich der Verfasser dieser Zeilen über die bevorstehende (geistige) Begegnung mit Leuten der Vergangenheit mit Autoren, die nicht so total vergessen sein sollten, wie sie es sind. Das gewissermaßen erste Exemplar der neuen Serie mit ihrem anspruchsvollen, wenn nicht geschwollenen Titel „Bibliotheca suevica“ macht höchstens einigen Philologen mit ganz speziellen Interessen Lust auf weitere .Exemplare“ der Serie.

Der Nachwort Verfasser zeigt durchs Zitieren von Autoren wie Walter Benjamin  dass er sich in einer schönen geistigen Wert bewegt, vf ging Mitte der sechziger Jahre absichtlich zum Studium nach Frankfurt, dorthin, wo damals fast die einzigen Philosophen in Deutschland, relativ früh nach dem verjagenden Dritten Reich, die Erinnerung an jene Heroen aus dem philosophischen Heiligenkalender pflegten), aber vf bezweifelt, ob das Sich-Bewegen in diesen erlauchten (Geistes-)Kreisen reicht, heutige Leser für ein (auch begrenztes) Interesse an jenen alten, lange toten Autoren zu gewinnen. Nicht schlecht wäre, wenn die neue Buchreihe nicht nur in Form von Ganzleinenbänden erscheint sondern auch weniger ambitioniert und durchschnittlesernäher in Gestalt einer Broschur. eines Taschenbuchs. Der Übersetzer und Nachwortverfasser Christian Sinn wurde 1962 in Pforzheim geboren. Er besuchte zeitweilig das Ehinger Gymnasium (der Vater war einige Jahre Chef von Neuweg Munderkingen und wohnt in Ehingen). C. Sinn studierte in Konstanz Neuere Deutsche Literatur und Philosophie, seine Doktorarbeit verfasste er über Jean Paul. Hinführung zu seiner Semiologie der Wissenschaft“ und seine Habilitation Uber .Dichten und Denken. Entwurf zu einer Grundlegung der Entdeckungslogik in den exakten und „schönen“ Wissenschaften“ Laut Eigennotiz des Herausgebers sind seine .Forschungsschwerpunkte: Literatur des Barock und der frühen Neuzeit; Goethezeit und Romantik, Geschichte und Methodologie der Geisteswissenschaften; literarische Rhetorik und Rhetorizität der Philosophie; Schmerztheorie als Erkenntnistheorie.“

Das Titelblatt der Ausgabe von 1666, alles schön in der damaligen Gebildeten- und Theologensprache Latein. Das Lernen der Rollentexte solcher Schultheaterstücke sollte auch dazu dienen, dass die Zöglinge von Jesuiten-Gymnasien besser Latein beherrschen.