09.09.2001 | Damit Hörende Gehörlosen dolmetschen

EHINGEN / GRIESINGEN (vf) – Im neuen Ehinger VHS-Programm ist unter vielen Sprachkursen ein Kurs in Gebärdensprache angeboten. Erteilt wird er von Elisabeth Braig, Griesingen.

Wenn der Verfasser dieses Zeitungstextes die Nachrichten-Sendung im „Phönix“-Kanal sieht, bewundert und beneidet er die Frauen, die so eindringlich wie souverän schwierige Sachverhalte mit Gebärden ausdrücken. Wer wünschte nicht, sich auch in dieser Sprache äußern zu können?!

 Elisabeth Braig aus Griesingen erteilt nun im Herbst in der Ehinger VHS einen solchen Kurs in der bei uns üblichen Gebärdensprache. Sie tut das aber nicht nur, weil es ihr – vermutlich und hoffentlich – auch Spaß macht, sondern weil das Ergebnis für sie auch von Vorteil sein kann; Elisabeth Braig ist nämlich selbst gehörlos und manchmal auf die Hilfe von Menschen angewiesen, die gehörte Sprache in Gebärdensprache übersetzen können.

Die Ehinger SZ-Redaktion wollte die Kurs-Leiterin ihren Lesern vorstellen, befragte sie per Fax-Brief und erfuhr so, im Antwort-Brief, von der Behinderung, mit der E. Braig bewundernswert zurechtkommt. Frau Braig hat bereits einmal in
Ehingen einen Gebärdensprach-Kurs erteilt, vor zwei Jahren; neunzehn „Hörende“ nahmen teil. Als „Hörende“  bezeichnen Taubstumme jene Menschen, die ihnen den für die meisten Menschen selbstverständlichen Gehörsinn voraushaben. Stummheit ist ja schwerer zu ertragen und zu bewältigen, wenn man zuvor nicht hören konnte, was ein anderer einem sagt oder sagen will.

Elisabeth Braig erteilt einen Kurs – im Sprechen mittels Gebärden, weil sie sich auf diese Art möglicherweise Gesprächspartner „heranzieht“, Menschen, mit denen sie sich rascher verständigen kann als nur über das Mittel geschriebener Texte. Ein wichtiger Kontaktort für Elisabeth Braig ist ein „Hörenden-Stammtisch“ von etwa fünf bis acht Frauen, die sich in wechselnden Ulmer Gaststätten jeweils dienstags treffen.

E. Braig benötigt aber nicht nur des menschlichen Kontakts halber Menschen, die hören und auch mit Gebärdensprache kommunizieren können, sie benötigte sie beispielsweise, wenn sie mit Kindern zum Arzt oder zum Klassenlehrer gehen musste. Eine Verständigung nur mittels geschriebener Texte ist für die meisten Hörenden umständlich und langwierig; aber, so E. Braig: „Wir haben zurzeit so wenig Dolmetscher, und viele von uns können sich, selbst wenn es Dolmetscher gibt, die Bezahlung nicht leisten; es ist zu teuer. Es wäre schön, wenn mehr Hörende imstande sind, für Gehörlose zu dolmetschen.“

Elisabeth Braig

Über ihr Leben berichtet uns Frau Braig, dass sie am 20. August 1954 geboren und mit drei Jahren schwerhörig wurde. – In einer Spezialschule in Schwäbisch Gmünd erlernte sie die Gebärden- und die Lautsprache. Nach der Schule arbeitete sie als Hilfsarbeiterin: Es sei damals für Gehörlose schwierig gewesen, einen anderen Beruf als den der Schneiderin zu erlernen; von den Schwierigkeiten des Ausübens abgesehen. Nachdem sie 1969 die Schule verließ, arbeitete sie sieben Jahre. 1974 heiratete sie; ihr Mann Hans Karl Braig ist ebenfalls gehörlos; er arbeitet schon seit 36 Jahren bei derselben Schelklinger Metallbearbeitungsfirma. 1977 schenkte sie einem Kind das Leben, in der Folge zwei weiteren Kindern. E. Braig ist froh: „Alle drei Kinder hören gut. Das ist schön für uns.“ Die Kinder beherrschen auch die Gebärdensprache und können mit Mutter und Vater in dieser Sprache kommunizieren. – Als unangenehm erlebte es E. Braig, dass sie beispielsweise mit den Lehrern ihrer Kinder nicht leichter reden konnte, sondern sich mit Aufschreiben behelfen musste. Zweimal, erinnert sie sich dankbar, begleitete der Schwiegervater sie bei Lehrer-Besuchen. Als 24-jährige Hausfrau erfuhr sie aus einer Gehörlosen-Zeitung, dass es in München Kurse in Gebärdensprache gibt. Sie selbst besuchte daraufhin fünf solcher Kurse. Inzwischen hat sie selbst schon solche Kurse erteilt, auch in Ulm.