EHINGEN (vf) – Am Sonntag beginnt auf dem Marktplatz das erste „Ehinger City Filmfestival“. Veranstalter sind Firmen der Innenstadt und die Stadt Ehingen. Das Vorführgerät, die Beschallungsanlage, die Leinwand und die Stühle liefert der Ehinger Kinobetreiber Torsten Bennewitz.
Er verfügt bereits über einige Erfahrung in Sachen „Open-Air-Kino“. So hat er vor einigen Wochen zwei Tage lang mit seinem Gerät auf einem Bodensee-Schiff Filme gezeigt, und am heutigen Mittwoch geht in Ochsenhausen eine große Open-Air-Veranstaltungsreihe zu Ende. – Von Friedrichshafen aus war Bennewitz mit seinem Vorführgerät auf der modernen Fähre „Euregia“ im Auftrag eines Ravensburger Kino-Betreibers zwei Tage lang unterwegs. Welchen Film zeigte Bennewitz? „Natürlich‚ Titanic‘ “.
Die Ochsenhauser Veranstaltungsreihe dauerte vom 1. bis 15. August. Es hätten drei Tage weniger sein sollen, aber an drei Tagen goss es, und nun werden die ausgefallenen Termine zu Beginn dieser Woche hinten angehängt. Es hätten die Hits der Reihe werden sollen: „Chocolat“, „Pearl Harbor“ und heute Abend „Der Schuh des Manitu“, der auch im Ehinger Kino zu sehen ist. Aufführungsort war das Freigelände neben dem einstigen Fruchtkasten-Gebäude des Klosters. Drinnen werden derzeit Metallarbeiten des Rottweilers Erich Hauser gezeigt: Zwei seiner glänzenden Riesendinger stehen im Freigelände und damit im Bereich der Filmvorführer. Sie mussten eigens gegen Beschädigung versichert werden. (Beiläufig: Eine kleinere Ausfertigung ä la Hauser steht auf dem Ehinger Lindenplatz). – Bewirtet wurden die Ochsenhausener Open-Air-Besucher von einem örtlichen Gastwirt. Der schlechteste Besuchstag während der zwei Wochen sah 80 Besucher (bei acht Grad im Freien); beim besten Termin wurden fast alle sechshundert aufgestellten Bennewitz-Stühle besetzt. Für den in Ehingen tätigen Kino-Chef und den Ochsenhausener Gastronomen steht fest:
Bild: Bauhofmitarbeiter der Stadt haben damit begonnen, für das Filmfestival auf dem Rathausplatz die Bühne aufzubauen. Vor der Rathausfassade wird eine Filmprojektionswand aufgestellt. Der Marktplatz wird zum Rathausplatz hin bestuhlt, dahinter werden Kirbehütten stehen. An den Filmfesttagen wird bewirtet. Unser Bild zeigt Arbeiter an einem Gestell für das Podium. Foto: Oppermann
Nächstes Jahr machen sie wieder so was. Wobei zu berücksichtigen ist, dass es in Ochsenhausen sonst kein Kino gibt. Vergangenes Jahr veranstaltete Bennewitz erstmals eine solche Film-Reihe, damals mit beachtlichen 3.000 Besuchern.
In Ehingen wird Bennewitz seinen Wagen mit Vorführgerät mitten auf den Marktplatz stellen; die 12 auf 6 Meter große Leinwand kommt dann vors Rathaus.
Auch in Ehingen wird bekanntlich bewirtet. Wenn die Ehinger „Session“ vorbei ist, werden Gerät und Stühle nach Laupheim transportiert, wo der dortige Kinobetreiber sich ebenfalls an einem „open air“ versuchen will.
► Nachgefragt. – Der in Biberach wohnende, in Ehingen tätige Kinobetreiber Torsten Bennewitz stellt für das Filmfestival in Ehingen die Geräte.
SZ: Versprechen Sie sich etwas von einer solchen Veranstaltung wie in Ochsenhausen?
Bennewitz: in Ochsenhausen kamen viele Leute, die sonst kaum ins Kino gehen, überdurchschnittlich viel ältere Leute.
SZ: Warum?
Bennewitz: Ein solches ‘Open Air’ mit Bewirtung hat Event-Charakter. Es ist etwas Besonderes, ‘da geht man hin.
SZ: Ich kenne kaum einen Selbständigen, der so wenig klagt und so viel Optimismus ausstrahlt. Bennewitz: „Klagen bringt nichts. Das macht nur die Stimmung schlecht.“
OBERMARCHTAL / NEUFRA (vf) – Etwas Abwechslung im Programm der Sebastian-Sailer-Tage – das erhoffen sich die Verantwortlichen von einer Lesung am Sonntag, 9. September, 11 Uhr, im Spiegelsaal des Klostergebäudes. Vorgetragen wird die „Deutsche Moritat“ „Schubart-Feier“ von Werner Dürrson, Neufra. Schubart war ein schwäbischer Schriftsteller, Musiker und Regierungskritiker im 18. Jahrhundert, der für seine Kritik an der württembergischen Regierung hart büßen musste. Der Autor Dürrson machte Schubart zum Thema einer „Moritat“ und eines Theaterstücks mit Bezügen zur Gegenwart; die Texte haben eine ungewöhnliche Geschichte.
Dr. W. Dürrson erhielt für die 1977/78 verfasste, fünfzigseitige „Moritat“ 1980 den Schubart-Preis der Stadt Aalen; in jenem Jahr wurde der Text auch veröffentlicht, im Stuttgarter Windhueter-Verlag. Öffentlich vorgetragen wurde die Moritat bisher nicht, wenn man von Ausschnitten im Zusammenhang mit der genannten Preisverleihung absieht.
Moritaten werden, wie auf Jahrmärkten so üblich, von zwei bis drei Personen vorgetragen, sagt der Autor im Gespräch mit der Ehinger Schwäbischen Zeitung. Für eine Aufführung als Theaterstück sollten es mehr Schauspieler sein: Einen richtiggehenden Dramentext zum Thema „Schubart“ verfasste Dürrson vor zwanzig Jahren im Auftrag des Stuttgarter Staatstheaters. Der Text wurde vom Frankfurter Suhrkamp-Verlag (der auch ein Theater-Verlag ist) veröffentlicht. Der damals noch lebende Holzschnitt-Künstler HAP Grieshaber, mit Dürrson bekannt, fertigte für die vorgesehene Stuttgarter Inszenierung das Werbeplakat. Aber dann wurde aus der Aufführung nichts. Verschiedene Gründe spielten dabei eine Rolle. So, wie der Moritaten-Text, war auch das Theaterstück ein „politisch‘ “ und damit für einige Obere ein „garstig“ Stück. Der vorgesehene Hauptdarsteller war mit seiner Rolle nicht einverstanden, Staatstheater-Regisseur Lukas Sutter zog nicht richtig mit. Es kam zum Eklat und zur Absetzung des Stücks vor der Uraufführung. Werner Dürrson hat einen ganzen Ordner mit Zeitungsveröffentlichungen zum Thema gesammelt. Im nächsten Jahr erscheint möglicherweise Dürrsons Selberlebensbeschreibung, in der unter anderem der Verlauf der Stuttgarter Theater-Tragikomödie nachgelesen werden kann.
Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Das Interesse an Politik, bedauert Dürrson, ist in Deutschland zurückgegangen. Man erinnere sich: Vor zwei Jahrzehnten bewegten Themen wie die Marinerichter-Tätigkeit des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger die Öffentlichkeit, ebenso die Nachrüstung (Stichwort „Mutlangen“); die – noch neuen – Grünen machten sich damals auf den politischen Weg. In dieser Zeit war das öffentliche Interesse auch an frühen Demokraten wie etwa Christian Friedrich Daniel Schubart größer als heute. Es war eine Zeit, in der – zum Teil im Gefolge der Studentenbewegung mehr Zeitgenossen als heute in der Geschichte nach Menschen suchten, die sich schon früher, vor der Bonner und Weimarer Republik, für Demokratie, gegen überflüssige politische Herrschaft, für die Rechte von Minderheiten etc. einsetzten – eben Spurensuche in Sachen Demokratie. Schubart ist eine der „Ikonen“ dieser speziellen Geschichte. Er wurde wegen seiner Kritik am damaligen württembergischen Herzog in dessen Auftrag von Ulm nach Blaubeuren gelockt, dort regelrecht gekidnappt und zehn Jahre auf dem Hohen Asperg inhaftiert, ohne Prozess.
Dürrson versteht sich mit seinen Schubart-Texten als politischen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, ist sich aber darüber klar, dass „politische Menschen“ derzeit meist nicht sonderlich gefragt sind. Geldverdienen gilt heute als eines der wichtigsten, wenn nicht als das wichtigste Ziel in unserer Gesellschaft. Andererseits freut sich Dürrson, dass sein Text nicht nur in Uni-Bibliotheken verstaubt, sondern für diese Lesung nochmals ans Licht gezogen wird.
Geboren 1932 in Schwenningen, Handwerkerlehre in Stuttgart, erste Gedichte. Ab 1953 Studium der Musik in Trossingen, mit Abschluss (später war Dürrson in Trossingen zeitweilig als Lehrer tätig), 1957 Abitur. Studium der Literaturwissenschaft in München und Tübingen, 1962 Promotion, Lehrtätigkeit an der Universität Poitiers bis 1968, anschließend freier Schriftsteller, Aufenthalt vorwiegend in Zürich, Kattenhorn am Bodensee, Stuttgart, seit einigen Jahren in Neufra bei Riedlingen.
Veröffentlichungsliste: „Dreizehn Gedichte“ mit Graphiken von Klaus Staeck, Eremitenpresse 1965 (Staeck war – und ist – einer der witzigsten und boshaftesten Polit-Plakat-Entwerfer der Bundesrepublik; im ruhigen Ehingen gab es vor 25 Jahren einigen Hallas. als die damals bestehenden Jungsozialistengruppe Plakate Staecks ausstellte). ‘Flugballade“, mit Holzschnitten von HAP Grieshaber. 1966. Drei Dichtungen, 1970, „mitgegangen mitgehangen“, Gedichte. 1970 – 75. – Zahlreiche weitere Gedichtveröffentlichungen in den folgenden Jahrzehnten, zusammengefasst in vier Bänden (Lyrik und Prosa). Essays zur Literatur (Werke. Band V) 1997, Übersetzungen aus dem Französischen. Zahlreiche Literatur preise, als letzter „Eichendorff-Literaturpreis“ 2001.
Zu C F. D. Schubart
Geboren wurde Schubart 1739 in Obersontheim, aufgewachsen ist er in Aalen, gestorben 1791 in Stuttgart. Student der Theologie, Hilfslehrer und Hilfsprediger in Geislingen. Organist und Musikdirektor in Ludwigsburg, Konzertpianist, 1773 wegen regierungskritischer Äußerungen aus Württemberg ausgewiesen, Herausgeber und Redakteur verschiedener kritischer Zeitungen, von Augsburg aus. Zehn Jahre ohne Gerichtsurteil auf dem Hohen Asperg. Vier Jahre später verstorben. Verfasser auch von Gedichten und musikkritischen Schriften.
„Vorbemerkung“
Dürrsons Absicht beim Verfassen der Schubart-Moritat (1977/78) wird deutlich aus der hier vollständig widergegebenen „Vorbemerkung“. Sie dokumentiert eine heute seltene politische Einstellung.
„Diese Moritat für zwei oder drei Stimmen und möglichst viele Dreinsprecher will den Menschen Schubart zeigen und was sein Landesherr mit ihm anstellt; zum andern, was das „Kulturbewußtsein“ mithilfe eines Publikums, das großenteils an der deutschen Krankheit, dem Mangel an geistiger Auseinandersetzung, leidet, aus so einem macht.
Der Dokumentator hält sich an die Quellen; der Standort des Autors bewegt sich zwischen Schubart und dem Publikum, einzig einem Denkprozeß verpflichtet, der ihm höchst notwendig und nachholenswert erscheint.
Die Moritat ist vorführbar an jedem beliebigen Ort, auch auf Straßen und öffentlichen Plätzen, mit möglichst wenig Requisiten, zum Beispiel auch in der „Höhengaststätte Schubartstube“, von Gefangenen des Hohenaspergs. Anspielungen und Anklänge auf heutige Zustände sind, durchaus unzufällig. Werner Dürrson“
► Nachgefragt
Im Blick auf die „Urlesung“ eines Textes von Dr. Werner Dürrson, Neufra, im September in Obermarchtal stellte Veit Feger, Ehingen, einige Fragen an den Autor:
SZ: Warum leben Sie ausgerechnet in dem kleinen Neufra?
Dürrson: Dort ist’s nicht so idyllisch wie am Bodensee. Am See war‘s mir fast zu schon. Das Klima in Neufra bekommt mir auch gut. Und dann kann ich endlich in einem Schloss wohnen.“ (Zur Erläuterung sei angefügt, dass dieses Schloss vor allem durch seine landschaftliche Lage hoch überm Donautal beachtlich ist).
SZ: Gibt es eine wichtige Person für die Entwicklung des Schriftstellers Dürrson?
Dürrson: Hermann Hesse. Ich durfte neun Jahre mit ihm Briefe wechseln und ihn dreimal besuchen. Er gab mir wichtige Hinweise für die Tätigkeit als Schriftsteller.
► Ansicht
Der Marchtaler Pater Sebastian Sailer ließ zwar Gottvater als schwäbischen Großbauer (oder: einen schwäbischen Großbauer als Gottvater) auftreten, er war aber, wie sich an anderen Texten aus seiner Feder zeigt, von Grund auf obrigkeitlich gesinnt und Gegner der Aufklärung.
Der Autor Werner Dürrson, der Sailer-Tage-Veranstalter Wolfgang Schukraft aus Ulm und Mit-Leser Walter Frei aus Ehingen erhoffen sich von der Erinnerung an C. F. D. Schubart in Form einer öffentlichen Lesung, dass die Sailer-Tage ein wenig politischer werden und weniger 18.-Jahrhundert-Kloster-Romantik-verliebt. Leicht ist die Verwirklichung einer solchen Absicht nicht, schließlich wird Dürrsons „Moritat“ im Repräsentationsraum des einstigen Klosters, dem feudalen Spiegelsaal, vorgetragen. Und das Publikum wird ein bildungsbürgerliches sein. Wer interessiert sich sonst schon für einen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts? Mit diesem Satz soll nichts gegen das Bildungsbürgertum gesagt sein, auch der Verfasser dieser Zeilen zählt dazu, Aber übermäßig viele sind das nicht.
GRIESINGEN / EHINGEN (vf) Andreas Pasini aus Griesingen hat am Mittwoch um 21.30 Uhr aus der Donau bei Ehingen einen 1,44 Meter langen und 38 Pfund schweren Wels (oder auch: Waller) gezogen. – Der größte Wels weltweit, der dieses Jahr geangelt wurde, maß gut zwei Meter; dafür musste man aber bis nach Kasachstan reisen, wie Pasini einem Fischer-Fachblatt entnahm.
Für Pasini, einen leidenschaftlichen Fischer, war das am Mittwochabend sein bisher größter Fang und vermutlich auch einer der größten Welse, die bisher im Raum Ehingen aus der Donau gezogen wurden. Pasini ist so stolz auf sein Fischer-Glück, dass er den genauen Fang-Ort nicht benennen will; er befürchtet, es könnten sich andere Welsfang-Fans über eventuell noch verbliebene Vertreter dieser Art hermachen.
Pasini ist im Berufsleben Automateneinrichter bei Lindenmaier in Untersulmetingen. Schon als Jugendlicher stellte er den Fischen nach. Bevor er vor drei Jahren in den Ehinger Fischereiverein eintrat, fischte er mit Tages-, Wochen- oder Monatskarten an einem der Laupheimer Baggerseen (die Zeit-beschränkte Fisch-Erlaubnis dort kann man beim Laupheimer Fischereiverein erwerben; eine Jahreskarte kostet 200 Mark).
Dem Ehinger Fischereiverein stellt Pasini den Kopf des Wels zum Präparieren zur Verfügung – wenn der Verein den Kopf annehmen will; schließlich kostet ein Präparier-Vorgang zum Erhalt der Jagd-Trophäe wenigstens fünfhundert Mark. Das aber war dem Fänger zu viel.
Das Fleisch des Welses hat Pasini zu Koteletts geschnitten; es soll verzehrt werden, von der Familie und von Bekannten.
Der größte Wels, den Pasini bisher an die Angel bekam, war 45 Zentimeter lang; er war damit “untermäßig” und wurde wieder in die Donau zurück geworfen.
Der Fangvorgang am Mittwochabend dauerte etwa eine halbe Stunde. Das geschah als “Handlandung”, weil der Fischer keinen Käscher, also kein Netz, verwendete. Zwar müssen Fischer so etwas bei sich haben, um den Fangvorgang abzukürzen und das Tier eher lebend an Land zu holen, um es eventuell wieder zurücksetzen zu können, aber für einen anderthalb Meter langen Wels reichte der Käscher, den Pasini bei sich hatte, nicht.
Fischen auf Welse ist ein unter Fischern beliebtes Vergnügen. In Spanien und Italien kann man gegen (nicht geringe) Bezahlung einige Wochen diese Wassertiere angeln; es gibt eigene Camps dafür. Wer einen Wels an die Angel bekommt, darf ihn aus dem Wasser holen, darf sich damit fotografieren lassen (“Jagdstolz”), aber muss ihn dann wieder ins Wasser lassen, damit ein anderer ebenfalls den Angelerfolg vorweisen – und der Camp-Eigentümer seine Brötchen verdienen kann. Im Gegensatz zu anderen Fischen, etwa Hechten, lassen sich die Welse durch die Tortur des Gefangenwerdens nicht verdrießen, erneu rasch zuzuschnappen, wenn ihnen ein Köder vor die Nase kommt. Hechte sind lernfähiger: Wenn einer vor denen an der Angel hing und freigelassen wurde, ist es nicht mehr so einfach, den nochmals anzulanden. Vor einigen Jahren waren übrigen: mehrere Mitglieder des Fischereivereins Rottenacker in einem solchen Wels-Fisch-Camp in Italien, und nächstens werden wieder welche dort unten fischen; das “Jagdgehege” gehört einem Fischer aus Oberschwaben.
EHINGEN (vf) – Einige Zeitungsleser waren wohl erstaunt, unter den Todesanzeigen in der Ehinger SZ eine mit dem Namen eines Ehingers, „Dr. Herbert Karl Kraft”, zu lesen. Der jetzt Verstorbene lebte über 55 Jahre in Ehingen, hatte sich aber aus dem „Leben” in Ehingen seit Jahrzehnten gewissermaßen ausgeklinkt. Unmittelbar nach dem Krieg hat sich der aus dem Raum Frankfurt eher zufällig nach Ehingen gekommene, damals junge Mann im Kulturleben der Stadt und gar Oberschwabens engagiert. Vor wenigen Jahren wurde das beim 50-Jahre-Jubiläum einer wichtigen oberschwäbischen Künstlervereinigung aufmerksamen SZ-Lesern deutlich. Herbert Karl Kraft leitete einige Zeit die ersten Volkshochschul-Bemühungen in Ehingen, in einer Zeit der Not und beengter Lebensumstände, an die heute nur noch über Siebzigjährige sich erinnern und an die sich wohl keiner gern erinnert. Eine kürzere Zeit arbeitete Dr. Kraft in der Redaktion der Ehinger SZ, lange Jahre dann in den auf Kulturelles spezialisierten Redaktionen der Südwestpresse Ulm und der Schwäbischen Zeitung Ulm. In dieser Zeit hat er unter anderem viele Theater-, Konzert- und Ausstellungskritiken verfasst (und sich, wie er dem Verfasser dieser Zeilen kürzlich gestand, viele Nachtstunden Mühe gemacht, dass nicht so viele Fehler im Blatt bleiben). Sein eigentliches, sein Wunsch-Leben spielte sich jenseits des oft mühseligen und öden Redaktionsalltags ab, beim Verfassen qualifizierter Buchbesprechungen für Fachzeitschriften, die kaum jemand im Raum Ehingen oder Ulm las und liest, im späten Erwerb des Doktortitels über ein musikwissenschaftliches Thema (als über Fünfzigjähriger), beim Verfassen von kunstgeschichtlichen Texten und bei der Herausgabe von Büchern, unter anderem eines in den 70er Jahren zur Geschichte des einstigen Klosters Marchtal.
In Ehingen selbst wollte Dr. Kraft am liebsten nicht wahrgenommen sein; „Ehingen ist eine schöne Stadt,” sagte er erst kürzlich zum Verfasser dieser Zeilen, aber eine, mit der er sonst nichts zu tun haben wolle. Das wichtigste Anliegen gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen war ihm die Bitte, ja nicht irgendetwas zu seinem erwartbaren 80. Geburtstag, den er nächstes Jahr feiern werde, zu veröffentlichen. Nun hat sich das Geburtstagsfest und damit auch die Erfüllung der Bitte erledigt. In Ehingen sah man Herbert Karl Kraft nur wenig auf der Straße, am ehesten, wenn der Ruheständler abends den Müllerberg hinab zur Post ging, um einen von ihm verfassten Text an einen weit entfernten Zeitschriften-Verlagsort abzusenden oder um Lebensmittel einzukaufen und in der einfachen weißen Leinentasche heimzutragen.
Geistige Arbeit war für Herbe Kraft bis zuletzt selbstverständlich, und wie für viele geistig produktive Menschen war sie ihm zugleich Selbstzwang und Genuss. H. K. Kraft erlebte und wusste, dass sich für die Mühen eines geistigen Lebens und für seine Ergebnisse vergleichsweise wenige Menschen interessieren, und diese Einschätzung hat wohl dazu beigetragen, dass er von seinem Umgebungswohnort wenig wissen wollte. Dem Verfasser dieser Zeilen gab ihm beim letzten Müllerberg-hoch-Gespräch zwei Sätze mit auf den Heimweg: Nicht so viel arbeiten, weil einem die physische Selbstzerstörung später, im Alter, keiner dankt, und außerdem gab er ihm ein gutes Wort mit über die jungen Zivildienstleistenden, die ihm und seine Frau, beide alt und angeschlagen, eine so angenehme, große Hilfe seien.
SCHELKLINGEN. Marie-Louise Roth-Zimmermann war früher Professorin für Germanistik an der Uni Saarbrücken. Sie kommt am Dienstag, 26. Juni, nach Schelklingen und liest hier ab 19.30 Uhr im Alten Spital aus ihrem Erinnerungsbuch.
Roth-Zimmermann stammt aus dem Elsass. Weil ihre Familie sich nicht genug unterwürfig gegenüber der erobernden deutschen NS-Herrschaft zeigte, sondern mit dem französischen Staat sympathisierte, wurde sie mit ihrer Familie zum Aufenthalt in Deutschland, genauer: in Schelklingen, gezwungen, wo die Erwachsenen zur Arbeit zwangsverpflichtet waren. Ganz so schlimm wie gegenüber Polen und Slawen verhielt sich die damalige Regierung aber gegenüber Franzosen und Elsässern nicht, so konnte Roth-Zimmermann in Ulm das Gymnasium besuchen. – Über die Zeit in Schelklingen hat Roth-Zimmermann kürzlich ein Buch verfasst und veröffentlicht. Aus diesem Buch wird sie in Schelklingen vortragen. Der Eintritt ist frei.
Anmerkung (vf) Die Ehinger SZ hat auf die Neuerscheinung hingewiesen, aufgrund des Eigenwerbungstexts des deutschen Verlags. Einer kritischen Besprechung hat sich die Ehinger SZ enthalten. Ein bisschen Kritik sei hier aber doch geäußert: Die Autorin war Germanistik-Professorin und Vorsitzende der Internationalen Musil-Gesellschaft (Robert Musil gilt als einer der bedeutendsten deutsch-österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, vor allem berühmt durch seinen großen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, der sich unter anderem mit dem Niedergang von „Kakanien“, der österreichisch-ungarischen „k.u.k.“ Doppelmonarchie befasst). Trotz dieser speziellen Qualifikationen hat die Autorin ihr Erinnerungsbuch auf Französisch verfasst und ins Deutsche übersetzen lassen, eine Übersetzung, die den Anspruch nach einem – bei einer Germanistik-Professorin erwartbaren – beispielhaft guten deutschen Stil nicht völlig befriedigt.
Väter existieren heute meist nur als Alimentenverweigerer und als Kindesmissbraucher. Solche Urteile werden sicher über einige von uns Vätern zu Recht gefällt. Aber es gilt auch: Der schlechte Ruf einiger weniger schädigt die ganze Zunft.
Wer annehmen muss, dass sowieso nichts von ihm gehalten wird, von ihm, dem Veit Feger, weil er zu dieser Zunft übler Männer gezählt wird – warum sollte sich der anstrengen und es anders machen?!
Die Obermarchtaler Erzieherinnen haben erkannt, dass es klüger ist, die Männer aus der Verwerfungs- und Schmoll-Ecke rauszuholen, indem sie deren Kinder anleiten, ihren Papas mal ausdrücklich Zustimmung zu zollen.
Selbst wenn Väter weder Missbraucher noch Alimente-Nicht-Zahler sind, werden sie oft nur noch für Altes Eisen, für überholt, für Grufties gehalten. Verständlich, dass mancher von ihnen nicht einmal mehr vor sich selber Respekt hat und seinen Kummer im nächsten Bierzelt ersäuft.
Kurz: Wertschätzung tut gut, lässt wachsen und das tun, woran man sonst gar nicht gedacht hätte. Die Obermarchtaler Erzieherinnen haben ein gutes Beispiel gegeben und sie haben zum Schluss des abendlichen Fests die Mamas in die Szene einbezogen.
NASGENSTADT (dpa / bur / vf) – Waltraud Kretschmann gewann am Sonntag in der „SKL“-TV-Show vor schätzungsweise zehn Millionen Zuschauern zehn Millionen Mark (wir berichteten). Am Montag hielten sie sich in der Nähe von München auf, am Montagabend sah man sie im RTL-Magazin „explosiv“. – Hier noch einige Angaben zu W. Kretschmann und Ehemann Günter.
G. Kretschmann ist von Beruf Notar; das Ehepaar hat zwei Töchter. Vor etwa zehn Jahren bezog die Familie in der Nähe des Kindergartens von Nasgenstadt auf den Gollenäcker ein Reihenhaus. Die 47-jährige Waltraud Kretschmann ist Hausfrau, arbeitete früher im Amtsgericht als Schreibkraft und lernte dort ihren gleichaltrigen Mann Günter kennen. G. Kretschmann wechselte vor etwa sieben Jahren aus Ehingen ans Notariat Hayingen. – Die Töchter, 15 und 12 Jahre alt, betreiben auf einem Hof in der Nachbargemeinde Reitsport.
Für die Mitbürger von Kretschmanns war die Nachricht vom Gewinn am Sonntagabend die Überraschung. Es war ja im Vorfeld nicht bekannt geworden, dass Waltraud Kretschmann an der Fernsehshow teilnimmt. Als die Nachricht am Sonntag gegen 19 Uhr (noch Vor Beginn der Fernsehsendung) von der Deutschen Presseagentur verbreitet wurde, versuchte ein regionaler Radiosender sogleich, Nasgenstadter Bürger zu befragen, um etwas über die Gewinnerin zu erfahren.
Eine Bekannte, eine Nachbarin und ein Nasgenstadter Bürger beschreiben gegenüber der SZ Ehingen Familie Kretschmann als zurückgezogen lebend. Die Befragten freuen sich für die Gewinner: „Die haben es verdient.“ Eine Nachbarin rechnet dem Notar hoch an, dass er ihr in einer schwierigen Lebenssituation half. Die Bekannte meint, die zehn Millionen Mark werfen die „bodenständigen“ Kretschmanns nicht aus der Bahn. Diesen Eindruck teilte am späten Sonntagabend bereits mancher TV-Zuschauer: Waltraud Kretschmann kommentierte die Gewinnzusage von Günter Jauch mit dem Satz, mit dem Geld würden sie sicher ein Haus kaufen. Geplant ist auch eine Amerika-Reise und ein eigenes Reitpferd für die Töchter. Das wurde durch Äußerungen der Kretschmanns gegenüber dem Sender RTL, der Süddeutschen Klassenlotterie (SKL) und der „Bild“-Zeitung bekannt. . Günter Kretschmann, Sohn eines langjährigen Mitarbeiters und Betriebsrats der Schwäbischen Zellstoff, trägt seit langem eine Beinprothese; als junger Mann wurde er bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Einer der Ehinger, den die SZ zur Familie Kretschmann befragte, meinte: Ihnen gönne ich die zehn Millionen Mark.
Insgesamt zwei Bürgermeister aus dem Verbreitungsgebiet stellen der Schwäbischen Zeitung Ehingen vor einer Gemeinderatssitzung jene Informationen zur Verfügung, die sie für ihre Räte erarbeitet haben. Die Zeitungsmacher dürfen diese Infos auswerten und vor der Sitzung auf die Themen eingehen. Diese beiden Bürgermeister sind der Ehinger OB Johann Krieger und der seit kurzem tätige Bürgermeister Hauler, Rottenacker.
Verglichen mit sämtlichen Kollegen und mit der Alb-Donau-Kreis-Verwaltung sind diese beiden Verwaltungschefs in ihrem Verhalten, man muss schon fast flippig sagen: revolutionär, und in jedem Fall auch tapfer.
Einige wenige ihrer Kollegen stellen vorab Sitzungsunterlagen zur Verfügung, versehen sie aber mit dem von den Zeitungsleuten respektierten Sperrvermerk “Veröffentlichung erst nach der Sitzung“. Die allermeisten Gemeinde Oberhäupter sind nicht einmal zu diesem Schritt imstande. In herkömmlich obrigkeitlicher Art sitzen sie auf ihre Informationen, wollen nicht, dass diese jemand anders als ihnen selbst und dem erlauchten Gremium ihrer Räte bekannt werden (am liebsten wäre manchen wohl, dass die Zeitungsleute nicht mal den Sitzungstermin wissen), und wenn die Informationen den Presseleuten schon bekannt gegeben werden, dann sollen diese zumindest keinen Gebrauch davon machen, bevor die Räte nicht darüber geredet (oder meist: darüber geschwiegen) haben. Hoffentlich bleiben wenigstens diese beiden Gemeinde Oberhäupter bei ihrem derzeitigen Verfahren.
ÖPFINGEN / FRANKFURT (vf) – Aus Öpfingen stammt Schriftsteller Andreas Eschbach, 41 Jahre alt. In der dicken Literatur-Beilage der FAZ zur Frankfurter Buchmesse wird Eschbach jetzt als Autor des neuen Romans „Eine Billion Dollar“ von FAZ-Feuilleton-Chef (!) und FAZ-Mitherausgeber (!) Frank Schirrmacher gewürdigt.
Eschbach hat in den vergangenen Jahren mehrere Science-Fiction-Romane veröffentlichen können, die hohe Auflagenzahlen erreichten; die Ehinger Schwäbische Zeitung wies ein, zwei Mal in größerem Umfang auf den „bedeutenden Sohn Öpfingen“ hin. Sucht man nach weiteren in Öpfingen aufgewachsenen Autoren, dann muss man wohl bis ins 18. Jahrhundert gehen, auf den ebenfalls an dieser Stelle gewürdigten Theologen und Kirchenhistoriker Dannenmaier.
„Science Fictions“, wie sie Eschbach bisher schreibt, werden meist zur sogenannten Trivialliteratur gezählt – nicht „bedeutungsvoll“ genug, um von ernsthaften Literaten, Literaturkritikern und eventuell Literatur-Lesern ernst genug genommen zu werden.
Zu den bekannten Schriftstellern der „Pop“-Literatur in Deutschland zählten in den vergangenen Jahrzehnten Autoren wie Konsalik, Johannes Mario Simmel oder Uta Danella. Erfolgreich ist inzwischen auch bereits der noch vergleichsweise junge Andreas Eschbach. Allem nach erklärt sich sein Erfolg daraus, dass Leser, die einen Roman von ihm gelesen haben, so angetan sind, dass sie auch den nächsten erwerben, und so wurden Eschbach-Texte bereits mehrfach von einem so großen Verlag wie Gustav Lübbe, Bergisch Gladbach, veröffentlicht.
Jetzt ist dem ehemaligen Öpfinger die Ehre widerfahren, dass einer der führenden Redakteure der FAZ einen neuen Roman von ihm vorstellt. Frank Schirrmacher tut das mit der bezeichnenden Überschrift „Hinweis auf einen Unbekannten“. Das ist natürlich ironisch gegen seine eigenen Literatur-Kritiker gemeint, für die Eschbach ein „Unbekannter“ ist, nicht hingegen für bereits hunderttausende Science-Fiction-Leser.
Schirrmacher eröffnet seinen Text mit den Sätzen: „Keine Rezension würdigt diesen Mann. Kein Lob rühmt ihn. Kein Verriß zerlegt seine Bücher in ihre Einzelteile…. Es stellt sich die Frage: Wie haben denn eigentlich die mehreren hunderttausend Leser, die seine Bücher zu Bestsellern
im literarischen Niemandsland machten, von ihm erfahren.?“
Bild: Andreas Eschbach (entnommen aus der FAZ-Literaturbeilage)
Schirrmacher schildert dann, wie er den Autor Eschbach entdeckte, durch Lektüre der Internet-Seite eines Buch-Verkäufers, der seine Best-Seller vermerkt.
Schirrmacher liefert kluge Sätze über den Autor Eschbach und empfiehlt ihn, auf jeden Fall als spannende Lektüre für einen „dunklen, kalten, wolkenzerfetzten Herbstabend“.
Veit Feger Anmerkung:
Das zitierte Wort „Verriß“ ist kein Rechtschreibfehler; in der SZ hätte es natürlich „Verriss“ heißen müssen, aber die FAZ hat sich der Mode „Rechtschreibreform“ verweigert. – Der Ehinger SZ-Macher legt aus seinem Nähkästchen nach: Er dreht beim Redigieren manchmal schier hohl: Einige Mitarbeiter, gestandene Akademiker, die früher „Straße“ richtig schreiben konnten und schrieben, sind durch die Reform so verunsichert, dass sie nun, aus Angst, sie könnten ein doppeltes s versäumen, ständig „Strasse“ schreiben – eine der unschönen Folgen der sogenannten Reform. Und der Zeitungsmacher leidet zudem unter der Verachtung süddeutschen Sprachgebrauchs, weil er zwar „Spaß“ mit kurzem „a“ spricht und also „Spass“ schreiben müsste, aber nach den aus Norddeutschland stammenden Rechtschreibregeln ein Wort schreiben muss, das er eigentlich nur als „Spaaas“ lesen kann. (vf)
GÖTTINGEN / EHINGEN (vf) – Die 1953 in Ehingen geborene Traudel Weber-Reich hat kürzlich in Göttingen eine Doktorarbeit aus dem Bereich der Sozialgeschichte abgeschlossen und an der Berliner Humboldt-Universität eingereicht. Nach den zugehörigen Prüfungen wird sie eine der ersten Frauen in Deutschland sein, die den Titel „Dr. rer. cur.“ tragen darf, Doktorin der Pflege Wissenschaften. Die ausgebildete Krankenschwester ist bereits mit mehreren Veröffentlichungen frauen- und krankenhausgeschichtlicher Art hervorgetreten.
Vor einigen Jahren erwarb der Verfasser dieser Zeilen antiquarisch das 1993 erschienene Buch „Des Kennenlernens werth – Bedeutende Frauen Göttingens“, 370 Seiten, erschienen im Göttinger Wallstein-Verlag. Interesse an Frauengeschichte und allgemein an Kultur- und Wissenschaftsgeschichte hatten vf das Buch kaufen lassen.
Herausgegeben war das Buch von einer dem vf nicht näher bekannten Traudel Weber-Reich. Jahre später bekommt der Buchkäufer mit, dass die Herausgeberin des Gesamtbandes und Verfasserin einiger in dem Sammelband enthaltener Aufsätze aus Ehingen stammt – Anlass für eine Nachfrage. Der Tochter aus einer Ehinger Handwerkerfamilie war es nicht, wie man so sagt, an der Wiege gesungen worden, eines Tages wissenschaftlich, vor allem im Bereich der weiblichen Berufsgeschichte, zu forschen. Ein Stück Frauenemanzipation sieht die Autorin sicher auch in ihrer eigenen Lebensgeschichte.
Traudel Weber aus der Ehinger Weitzmannstraße, geboren 1953, besuchte in Ehingen etc. Grundschule und sechs Jahre das Gymnasium. Dann lernte sie am Paracelsus-Krankenhaus in Ruit/Ostfildern ihren Beruf.
Zum Thema Pflege verfügte das Stadtarchiv Göttingen über einen umfangreichen, aber ungeordneten und nicht ausgewerteten Aktenberg. Diesen Berg sortierte und wertete die Studentin für ihre Magisterarbeit aus. In Buchform erschien diese Arbeit 1993 bei Vandenhoeck & Ruprecht unter dem Titel „Um die Lage der hiesigen notleidenden Gasse zu verbessern. Der Frauenverein zu Göttingen“ – Ein wenig missionarische Haltung schwang bei dieser Arbeit schon mit. Frauen, so die Autorin im Gespräch mit der Ehinger SZ, haben eine eigene Geschichte, eine andere als die Männer, eine Geschichte, die sie formt, bis heute, eine Geschichte, die die Frauen daher kennen sollten. Frauen haben aber Geschichte nicht nur erlitten, sondern auch gestaltet. Traudel Weber-Reich lieferte für ihren Lebensraum Göttingen einige Beweise für diese Behauptung – auf zwei Feldern geschichtlicher Forschung. Mit ihrer Untersuchung der Geschichte des Göttinger Frauenvereins hatte sich Weber-Reich für stadtgeschichtliche Arbeit qualifiziert. Sie erhielt von der Stadtverwaltung eine befristete Stelle, in der sie Regionalgeschichte weiterhin unter „Frauen“-Aspekt aufarbeiten konnte. Beachtliche Frucht dieser Arbeit: die Herausgabe eine Reihe Lebensläufe bemerkenswerter Frauen, die mit Göttingen zu tun haben, die dort geboren wurden oder dort lebten.
T. Weber-Reich steuerte zu dem Sammelband mit über vierzig Lebensbeschreibungen einen Sammelbeitrag über jene sechs Frauen bei, die den „Frauenverein zu Göttingen“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten, außerdem einen Aufsatz über Elise Bürger geborene Hahn (1769 – 1833), die Ehefrau des Schriftstellers Gottfried August Bürger, Schauspielerin und Schriftstellerin und mit G. A. Bürger in einer zu ihrer Zeit bekannt gewordenen Ehegeschichte verknüpft.
Traudel Weber-Reich sah sich vor keine leichte Aufgabe gestellt, als sie für die Biographien der sehr verschiedenen „Göttinger“ Frauen fähige Autorinnen gewinnen musste. Sie hatte das – zum Teil unangenehme – Geschäft, auswählen zu müssen, immerhin konnte T. Weber-Reich überregional anerkannte Autorinnen gewinnen, etwa Sigrid Damm (mit einer Biographie der Romantik-Muse Caroline Schelling, 1763 • 1809) bekannt geworden, oder Andrea Hahn (mit einem Aufsatz über die Schriftstellerin und erste deutsche Zeitschriften-Redakteurin Therese Huber geborene Heyne. 1764 – 1829). oder die Autorin Cordula Tollmien (mit einem Aufsatz über Minna Specht, 1870 – 1961).
Die genannten Zuarbeiterinnen und zahlreiche weitere Autorinnen mussten alle auf eine gewisse Länge oder Kürze und Qualität der Texte „eingeschworen“ werden.
Bild: Deckblatt (Ausschnitt) eines Buchs, das T. Weber-Reich herausgegeben und zu dem sie auch einiges beigesteuert hat.
Weil Göttingen eine Uni-Stadt – mit einigen recht aufgeschlossenen Professoren – war, kam es schon vor längerem dazu, dass hier Frauen (als Professoren-Töchter) aufwuchsen, die es dann selber in Sachen produktive Bildung wert brachten; Und es gab andere Frauen, die hier studierten, arbeiteten und (im letzten Jahrhundert erstmals auch) lehrten, alles Frauen, die „des Erinnerns werth“ sind. Zu den bekannteren und in Traudel Weber-Reichs Buch vertretenen gehören die Verlegerin Anne Vandenhoeck (1709 – 1787), die intellektuelle und emotionale Inspiratorin romantischer Schriftsteller und Philosophen Caroline Schelling, die Schriftstellerin Therese Huber, die Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salome, die Mathematikerin Emmy Noether, die Schulreformerin Minna Specht, die
Philosophin und Ordensfrau Edith Stein, die Historikerin Elisabeth Heimpel.
Bevor das Buch erschien und zunächst auch danach hatte die Herausgeberin und Co-Autorin einen ziemlichen Bammel: Göttingen ist Universitätsstadt, es gibt genügend Leute, die mit Büchern zu tun haben; die literarischen Ansprüche sind hoch. Da war Traudels Freude groß, als die Veröffentlichung gute Kritiken bekam und die erste 1500-Stück-Auflage schon nach sieben Wochen ausverkauft war. Inzwischen liegt das Buch in dritter Auflage vor.
Das Interesse an Frauengeschichte und an der Geschichte ihres eigenen ursprünglichen Berufs als Krankenschwester konnte Weber-Reich in den folgenden Jahren verknüpfen. Sie sah, dass zahlreiche Krankenhausgründungen vor allem im 19. Jahrhundert von Frauenvereinigungen, insbesondere religiös orientierten, ausgingen. Vier wichtige Krankenhäuser in Göttingen sind Gründungen von Frauen. Mit die ersten dieser Gründerinnen, im protestantischen Göttingen, waren katholische Ordensfrauen, Vinzentinerinnen mit Mutterhaus in Hildesheim. Zum hundertjährigen Bestehen des von ihnen gegründeten und getragenen Krankenhauses verfasste Weber-Reich im Jubiläumsjahr 1996 einen Beitrag.
Neben der Vinzentinerinnen-Gründung gab es in der Stadt auch Krankenhaus-Gründungen durch Diakonissen und die Klementinen-Krankenhausschwestern. Dass Frauen hier die entscheidende Rolle spielten, dass sie die Arzte anstellten und das finanzielle Risiko trugen, das wurde später oft wenig beachtet (es wurde auch von den bescheidenen Frauen nie plakativ betont). Traudel Weber-Reich legte diese Gründungsgeschichten für Göttingen ausführlich dar.
Einen etwas anderen Aspekt des Frauenlebens als den zölibatären der pflegenden Ordensfrauen und Diakonissen behandelte Weber-Reich in einem 1997 erschienenen Aufsatz über „Frauen in Not – Alltagsleben und Geburtenpolitik1919-I933“.
Die Doktorarbeit, die Weber-Reich kürzlich abschloss, wurde von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert; die Stiftung vergab fünfzig Stipendien, zur Erforschung (vorwiegend weiblicher) Pflege-Tätigkeit. An der Humboldt-Universität Berlin wurde ein eigener Studiengang für Forschungsarbeiten im Bereich Pflege eingerichtet, der mit dem Titel „Dr. rer. cur.“ abgeschlossen werden kann. Vor einem dreiviertel Jahr wurde der Titel erstmals verliehen. Veit Feger
► Nachgefragt
Der persönliche Gewinn geistiger Arbeit (Die Fragen stellte Veit Feger)
SZ: Frau Weber-Reich, hat Ihre wissenschaftliche Arbeit Ihnen auch persönlich einen Gewinn eingebracht?
Weber Reich: Ich wurde gebeten, Vorträge auf Fachtagungen und vor interessierten Frauenvereinigungen zu halten. Das war eine neue Aufgabe für mich. Man gewinnt dadurch mehr Sicherheit im Auftreten. – Dadurch, dass ich mich mit der Geschichte der Frauen in früherer Zeit befasst habe, wurde mir auch deutlich, wie schwer es früher Frauen hatten (manchmal auch heute noch, in anderen Ländern sowieso). Von daher kann ich beispielsweise gut verstehen, wie angebracht die Forderung der englischen Schriftstellerin Virginia Woolf ist, dass Frauen in einer Wohnung ihr „own room“, ihr eigenes Zimmer, haben sollten.
SZ: Fühlen Sie sich in Ihrer Ehe als Frau benachteiligt? Weber-Reich: Nein.