ZWIEFALTENDORF (vf) – „Mittelalterlicher Markt”, drei Tage über Ostern, neben dem örtlichen Schloss. Ein einstiger Landschaftsgärtner aus der Eifel holt rund achtzig Handwerker und Schausteller, nicht nur aus Deutschland, sondern bis aus Tschechien, in das kleine Dorf an der Donau, für drei leider teils verregnete und kühle Tage. Was sind das für Leute?
Der Verfasser dieser Zeilen dachte sich zunächst: lauter Ausgeflippte. – Das ist nicht ganz falsch – und nicht ganz richtig. Eine Handleserin aus dem Hunsrück, eine unter Dutzenden Akteuren dieses Wochenendes, zeigte dem Zeitungsmacher nicht nur geheime Niederlagen in seinem eigenen Leben auf, sondern auch das, was die Menschen, die ein solches Lager wie das in Zwiefaltendorf mitleben, am ehesten verbindet: „der Wunsch nach einem anderen Leben, nach einem Leben mit mehr Langsamkeit.”
Ja, warum tun sich Dutzende Leute so etwas das Sommerhalbjahr über an? So ziemlich an jedem Wochenende, teils im Zelt übernachtend, teils im Kleinbus. Allenfalls die „Aristokratie” unter ihnen kann sich die Übernachtung im Gasthaus leisten. Der Organisator Karl-Heinz Lieb hätte gern für die paar Tage in Zwiefaltendorf den Gemeindesaal gemietet, damit die Teilnehmer dort günstig übernachten. Das wurde nicht gestattet – auch die Verantwortlichen in Zwiefaltendorf werden ihre Gründe gehabt haben.
Warum also tun sich die Mittelaltermarkt-Fans ihren Lebensstil zumindestens langen Wochenenden an? – Ein Grund ist: Sie kommen heraus aus dem üblichen Leben – in ein Leben, das nicht wie ihr sonstiges oder ihr früheres – im selben Maß weiterhin von der Stechuhr, allgemeiner formuliert: von anderen und nicht von ihnen selbst bestimmt ist.
Die frühere Beamtin auf Lebenszeit, die jetzt die Handlinien liest, lebt heute mit mehr Chancen zur Selbstverantwortung als früher; die Schmuckdesignerin teilt ihre Arbeitszeit in die Herstellung von Schmuck und in die (Schauspiel-)RolIe der Bettlerin auf dem Mittelaltermarkt. Die Buchbinderin aus Stuttgart gestaltet an den Mittelalter-Wochenenden Bucheinbände möglichst originalgetreu.
Der Organisator von allem diesem sind K. Lieb und seine Partnerin Sylvia Gottschild (die Ehinger SZ stellte sie in einem Nachgefragt vergangene Woche vor). Karlheinz Lieb freut sich, dass er eine zwölfköpf ige Gruppe aus dem tschechischen Chomutov (früher Komotau) in Zwiefaltendorf vorstellen kann, die teils als Fahnenschwinger (unser Bild) auftreten, teils als Musikgruppe mit alten Instrumenten und mittelalterlichen Musikstücken. – Derweil steht die Lebensgefährtin des einstigen Landschaftsgärtners im Kassenhäuschen und erhebt den „Wegezoll”. Der könnte an diesem kühlen Ostersonntagnachmittag wirklich höher ausfallen. Sylvia war früher Kinderkrankenschwester.
Die meisten Schausteller dieses „Markts” hätten wohl in ihren früheren bürgerlichen Berufen bleiben können, aber irgend etwas zieht sie zu diesem anderen Lebensstil. Und so nehmen sie auch seine Nachteile hin, etwa die Unbeständigkeit des Wetters und damit auch die geringeren Einnahmen. – Mit einem solch beschissenen Wetter wie an diesem Osterwochenende rechnet keiner, weder Organisator noch Handwerker oder Speisen-Zubereiter. Bei einem anderen Wetter wären die Besucher in Massen gekommen, wo man doch an den Feiertagen nicht shoppen gehen kann, wo einfach tote Hose ist. (In die Kirche geht sowieso kaum einer, geschweige, wie früher mal, auch in die nachmittägliche Andacht).
Der Veranstalter, 40 Jahre alt, frönt seit anderthalb Jahrzehnten seiner Mittelalter-Begeisterung – vielleicht sollte man eher sagen, seinem Wunsch nach Flucht in eine andere Welt. Kennengelernt hat er das in Frankreich: „Franzosen, Engländer, Tschechen, Polen sind uns mit der Abhaltung solcher Veranstaltungen voraus. Deutschland zieht nach,” resümierter.
Vielleicht liegt diese Verspätung auch daran, meint vf, dass wir in Deutschland noch mehr als andere Länder in Europa gute Gründe haben, eine Wiederauferstehung des Mittelalters zu fürchten. Aber wenn wir mal von Hexen- und Judenverbrennungen absehen, es war wohl doch nicht alles schlecht an dieser vergangenen Lebensform.
Veit Feger
Fotos:
Karlheinz alias Carotan Lieb ließ seine Brille aus dunklem Horn nach einer spätgotischen Zeichnung anfertigen Tschechische Fahnenschwinger vor dem Zwiefaltendorfer Schloss. – Das ummauerte Freigelände südlich davon war eigentlich ein ideales, weil abschließbares und zugleich grünes Marktgelände – nichts von Asphalt und anderen neuzeitlichem Schnickschnack. Aber es muss auch das Wetter mitmachen, damit die Nachteile eines Mittelalters-Laifschdails nicht ganz so drastisch ausfallen. Fotos, vf