EHINGEN/TÜBINGEN(vf)-Die derzeit wohl wichtigste deutsche Jakob-Locher-Forscherin, die Tübinger Literaturwissenschaftlerin Dr. Cora Dietl, sprach am Mittwochabend auf Einladung der Ehinger VHS im Ex-Franziskanerkloster über diesen aus Ehingen stammenden ersten deutschen Dramatiker. Durch einen Bericht in der Ehinger SZ vergangenen Sommer wurde die VHS auf die Forscherin aufmerksam und lud sie ein.
Dietl schilderte das Leben und einige Werke Lochers; sie illustrierte ihre Ausführungen mit zahlreichen Dias, die sie mit einem von ihr selbst per Laptop gesteuerten Projektor „einspielte“. Wie sich zeigte, ist in den letzten Jahrzehnten einiges Neue über Lochers Leben zu Tage gefördert worden. – Dietl rückte Locher in seinen zeitgeschichtlichen Zusammenhang ein, was wichtig ist, um den Inhalt und die Absichten des Schriftstellers besser beurteilen zu können. Wenn wir auf die wirkliche Geschichte jener Zeit blicken, vor allem die Auseinandersetzungen zwischen dem deutschen Reich, insbesondere dem damaligen Kaiser Maximilian, und dem König von Frankreich und dem Sultan des osmanischen Reichs, so gerät einige schriftstellerische Tätigkeit Lochers in ein eigenartiges Licht: Propaganda, Wunschdenken, karriereorientierte Schriftstellertaktik.
Die Autorin eröffnete ihren Vortrag mit einer Kurzgeschichte der Dichterkrönungen in der nachrömischen Geschichte. Schließlich wird heute noch immer die Bedeutsamkeit Lochers auch mit dem Hinweis auf seine Dichterkrönung durch Kaiser Maximilian von Habsburg begründet. Die erste solche Krönung im Mittelalter geschah in Italien, an der Uni Padua, im Jahr 1315. Es folgen weitere solche Krönungen 1341, 1442 und 1487. Letztere betraf den ersten Nicht-Italiener, den humanistischen Schriftsteller Konrad Celtis, der zeitweilig auch Lehrer von Jakob Locher war. Dieser selbst war 1487 ein ganz junger Student.
Locher (geboren 1471) stammte sehr wahrscheinlich aus einer Ehinger Oberschicht-Familie: Sein Vetter brachte es zu einem leitenden Beamten der Reichsstadt Ulm, ein anderer naher Verwandter zum Kaplan am Münster in Ulm, einer zum Stadt Schreiber in der damals der Reichsgehörenden Landstadt Geislingen. Dem Universitätslehrer Celtis war es ein Anliegen, dass die zu seiner Zeit lebenden Schriftsteller endlich auch Deutschland selbst rühmen und preisen; schließlich hatten Humanisten wie Celtis in Texten aus der griechischen und römischen Antike mehr als genug Lob auf Herrscher und Staaten gelesen und wünschten sich, dass ihr eigenes Land und sein Oberhaupt in ein helles (literarisches) Licht gerückt werde. (Man könnte meinen: Literatur als Folge eines Minderwertigkeitskomplexes). Jakob Locher ließ sich, flippig gesprochen, die Aufforderung von Celtis nicht zweimal sagen.

Dr. Cora Dietl bei ihrem Vortrag im Ehinger Ex-Franziskanerkloster. Foto: vf
Während seines Studiums lernte Locher mehrere für seine spätere Autoren- und Berufs-Karriere wichtige Leute, so den Baseler Juristen und Schriftsteller Sebastian Brant, der ihm -wie auch Celtis – half, mit den damals noch seltenen Druckern / Verlegern in Kontakt zu kommen. Während einer Studienzeit in Bologna lernte Locher einen für die Karriere ebenfalls wichtigen Mann, ein Mitglied der Markgrafenfamilie von Baden, kennen. Als 26-jähriger konnte Locher so bereits das erste deutsche Theaterstück mit Gegenwartsbezug drucken und verlegen lassen. Er stellte hier den deutschen Kaiser als siegreichen Kriegsherrn dar, der dieser- zumindest damals – gar nicht war. Der Lohn folgte auf dem Fuße, die Ernennung zum „kaiserlichen gekrönten Dichter“. C. Dietl nannte weitere Texte, die den Dichter als klugen, vielleicht .auch überzeugten Kaiser-Max-Propagandisten erscheinen lassen (Nicht schlecht wäre ein kleiner Hinweis darauf gewesen, dass von Locher auch schöne lateinische Gedichte überkommen sind).
Eines von weltweit siebzig Exemplaren ist jetzt in Ehingen Jenes erste gedruckte und an der Uni Freiburg aufgeführte deutsche Schauspiel (1497) hatte einen aktuellen politischen Bezug; es ging ums Kaiserreich, um den König von Frankreich und den Su Ita n). Damit hob sich dieses Stück ab von den damals sonst auf Bühnen aufgeführten Schauspielen, nämlich Fastnachtsschwänken und Passionsspielen; die überkommenen und auch verstärkt nun aufgesuchten und gedruckten antiken Komödien und Tragödien wurden bis dahin nur gelesen, aber nicht aufgeführt. Von jenem ersten in Deutschland gedruckten neueren Drama mit aktuellem Bezug sind gegenwärtig immerhin siebzig Exemplare weltweit erhalten und ihre Aufbewahrungsorte bekannt; die meisten befinden sich in Museen bzw. Bibliotheken und kommen üblicherweise nicht mehr in den Handel. Aber eines konnte die Stadt Ehingen, unterstützt von der Ehinger Museumsgesellschaft, erst vor einigen Wochen von einem Münchner Antiquar erwerben, dem es von einem italienischen Antiquar angedient war. Das Buch aus dem Jahr 1497 mit seinen vielen Holzschnitten ist jetzt ein Glanzstück des Ehinger Stadtarchivs. Es wurde am Mittwochabend vorgezeigt.
Wertere Veröffentlichungen zu Locher sind jetzt gesammelt Karl Otto Schöfferle von der Ehinger VHS hat auch weitere Bücher zu dem Thema „Locher* erworben, teils Neuerscheinungen (so eine zweibändige Analyse der Übersetzung des Brant‘schen Narrenschiffs ins Lateinische), teils auch schon länger Vorhandenes, aber nicht leicht Zugängliches: so zwei Dissertationen über J. Locher aus dem Anfang der fünfziger Jahre, verfasst an der Uni Wien, zudem eine Fotokopie der ersten großen Befassung mit Jakob Locher, durch den Ehinger Geistlichen, Gymmi-Chef und Heimatgeschichtsforscher Hehle, erschienen als sogenannte Programmschrift des Ehinger Gymnasiums, gedruckt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Feger‘schen „Offizin“.
Holzschnitte der Zeit um 1500, in Veröffentlichungen J. Lochers und anderer Autoren, waren die reizvollste Illustration des Dietl‘schen Vortrags. Die Literaturhistorikerin zeigte auf, dass und wo damals dieselben Holzschnitte in verschiedenen Texten verwendet wurden. Diese Mehrfach-Verwendung war damals üblich, weil die Herstellung von Holzschnitten (wie überhaupt von bildlichen Illustrationen) vergleichsweise teuer war. Ein Holzschnitt, der Locher als gekrönten Dichter zeigt, wurde auch verwendet, um die Neuherausgabe eines wichtigen Textes der römischen Antike zu illustrieren. Und der Holzschnitt eines auf einem universitären Lehrstuhl sitzenden Redners und Vorlesers mit Dichterkrone soll im einen Buch Jakob Locher, in einem anderen den von ihm übersetzten römischen Dichter Horaz darstellen.
Betrachtet man die Inhalte verschiedener Locher-Veröffentlichungen, so erkennt man zwei wiederkehrende Themen: den Lobpreis des Kaisers, die Abwertung seiner nicht-deutschen Gegner und die Kritik an damaligen Theologen, die nicht erfreut waren, dass die neuen universitären Antike- und Poesie-Freunde Dichtung und Philosophie zu wichtigeren Studieninhalten erklärten als die damalige Königin der universitären „Wissenschaften“, die Theologie. Noch gegen Ende seines Lebens legte sich Jakob Locher in einem solchen „Rang-Streif mit einem der wichtigsten gegenreformatorischen Theologen seiner Zeit an, dem damals frisch an die Uni Ingolstadt gekommenen Eck. Locher hatte erst als älterer Mann geheiratet und war auch Vater geworden, der Streit mit Eck hinderte ihn aber nicht daran, den Theologen und Uni-Kollegen Eck zum Vormund seines unmündigen Sohnes zu erklären. Der Ehinger Geschichtsfreund Rudolf Schrodi steuerte am Schluss des Vortrags eine hübsche Parallele zum Leben Jakob Lochers bei, die auch der sehr kundigen Vortragenden bisher nicht aufgefallen war: Lochers Geburts- und Sterbejahre sind identisch mit denen des berühmtesten deutschen Künstlers seiner Zeit, Albrecht Dürer.
Kommentar von Veit Feger
Kulturförderer haben es nicht leicht; ihren Respekt für die Arbeit Dr. Cora Dietls bezeugten am Mittwochabend durch ihre Anwesenheit Stadtpfarrer Keck, der Vorsitzende der Museumsgesellschaft Ulrich Köpf, OB Johann Krieger, der Landrat des Alb-Donau-Kreises, Dr. Wolfgang Schürle (und auch vf). Im Übrigen war der Besuch des Vortrags mager. So richtig die Entscheidung war, dass die Stadt Ehingen und ihre Volkshochschule die derzeit wichtigste Forscherin über einen bemerkenswerten Ehinger zu einem Vortrag nach Ehingen baten, so wenig wurden der Stadt , und der VHS diese Einladung durch regen öffentlichen Zuspruch gedankt. Dabei waren Zeit und Ort des Vortrags sicher bekannt, soweit sich Zeitgenossen dafür interessieren, Termin und Ort waren sowohl in der Ehinger SZ wie in der haushaltsabdeckenden Wochenzeitung INFO gut sichtbar angekündigt: und in der SZ sogar mit viel Vorschusslorbeeren bedacht. Man sieht. Kulturförderer haben es nicht leicht.