EHINGEN (vf) – Einige Zeitungsleser waren wohl erstaunt, unter den Todesanzeigen in der Ehinger SZ eine mit dem Namen eines Ehingers, „Dr. Herbert Karl Kraft”, zu lesen. Der jetzt Verstorbene lebte über 55 Jahre in Ehingen, hatte sich aber aus dem „Leben” in Ehingen seit Jahrzehnten gewissermaßen ausgeklinkt. Unmittelbar nach dem Krieg hat sich der aus dem Raum Frankfurt eher zufällig nach Ehingen gekommene, damals junge Mann im Kulturleben der Stadt und gar Oberschwabens engagiert. Vor wenigen Jahren wurde das beim 50-Jahre-Jubiläum einer wichtigen oberschwäbischen Künstlervereinigung aufmerksamen SZ-Lesern deutlich. Herbert Karl Kraft leitete einige Zeit die ersten Volkshochschul-Bemühungen in Ehingen, in einer Zeit der Not und beengter Lebensumstände, an die heute nur noch über Siebzigjährige sich erinnern und an die sich wohl keiner gern erinnert. Eine kürzere Zeit arbeitete Dr. Kraft in der Redaktion der Ehinger SZ, lange Jahre dann in den auf Kulturelles spezialisierten Redaktionen der Südwestpresse Ulm und der Schwäbischen Zeitung Ulm. In dieser Zeit hat er unter anderem viele Theater-, Konzert- und Ausstellungskritiken verfasst (und sich, wie er dem Verfasser dieser Zeilen kürzlich gestand, viele Nachtstunden Mühe gemacht, dass nicht so viele Fehler im Blatt bleiben). Sein eigentliches, sein Wunsch-Leben spielte sich jenseits des oft mühseligen und öden Redaktionsalltags ab, beim Verfassen qualifizierter Buchbesprechungen für Fachzeitschriften, die kaum jemand im Raum Ehingen oder Ulm las und liest, im späten Erwerb des Doktortitels über ein musikwissenschaftliches Thema (als über Fünfzigjähriger), beim Verfassen von kunstgeschichtlichen Texten und bei der Herausgabe von Büchern, unter anderem eines in den 70er Jahren zur Geschichte des einstigen Klosters Marchtal.
In Ehingen selbst wollte Dr. Kraft am liebsten nicht wahrgenommen sein; „Ehingen ist eine schöne Stadt,” sagte er erst kürzlich zum Verfasser dieser Zeilen, aber eine, mit der er sonst nichts zu tun haben wolle. Das wichtigste Anliegen gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen war ihm die Bitte, ja nicht irgendetwas zu seinem erwartbaren 80. Geburtstag, den er nächstes Jahr feiern werde, zu veröffentlichen. Nun hat sich das Geburtstagsfest und damit auch die Erfüllung der Bitte erledigt. In Ehingen sah man Herbert Karl Kraft nur wenig auf der Straße, am ehesten, wenn der Ruheständler abends den Müllerberg hinab zur Post ging, um einen von ihm verfassten Text an einen weit entfernten Zeitschriften-Verlagsort abzusenden oder um Lebensmittel einzukaufen und in der einfachen weißen Leinentasche heimzutragen.
Geistige Arbeit war für Herbe Kraft bis zuletzt selbstverständlich, und wie für viele geistig produktive Menschen war sie ihm zugleich Selbstzwang und Genuss. H. K. Kraft erlebte und wusste, dass sich für die Mühen eines geistigen Lebens und für seine Ergebnisse vergleichsweise wenige Menschen interessieren, und diese Einschätzung hat wohl dazu beigetragen, dass er von seinem Umgebungswohnort wenig wissen wollte. Dem Verfasser dieser Zeilen gab ihm beim letzten Müllerberg-hoch-Gespräch zwei Sätze mit auf den Heimweg: Nicht so viel arbeiten, weil einem die physische Selbstzerstörung später, im Alter, keiner dankt, und außerdem gab er ihm ein gutes Wort mit über die jungen Zivildienstleistenden, die ihm und seine Frau, beide alt und angeschlagen, eine so angenehme, große Hilfe seien.