21.06.2002 | Grüße von der Weltmeisterschaft in Südkorea

EHINGEN (vf) – In der Ehinger SZ- Redaktion ging am Mittwoch  eine Postkarte aus Südkorea ein abgeschickt von Zvetko Presern (üblicherweise: Tuchergasse Ehingen). Adressat: die SZ und ihr Sport-Fachmann Hans Aierstok. Genau seit Mittwochmorgen ist Presern von der Reise um die halbe Erdkugel zurück. Die SZ-Redaktion bat ihn um einen Besuch; daraufhin erzählte er uns gestern einige Erlebnisse.

Presern ist 62 Jahre alt, lebt seit 32 Jahren die meiste Zeit des Jahres in Ehingen, arbeitet bei Liebherr, ist Fußball-Fan und stammt aus der zweitgrößten slowenischen Stadt Maribor. Über ein slowenisches Reisebüro buchte er vor Monaten eine Flugreise nach Korea. Er war dort einer von 2.400 Slowenen, die der Nationalmannschaft ihres Heimatlandes vor Ort die Daumen drückten und in den Weltmeisterschaft-Arenen über deren Torchancen jubelten. Presern hatte sogar die Gelegenheit, einige Nächte im gleichen Hotel wie die Fußball-Stars seines Heimatlandes zu nächtigen; er hatte Kontakt mit dem Trainer der Nationalmannschaft und auch, eher zufällig, mit Bundesligaspieler Alexander Knauss. – Der slowenische Nationaltrainer Srecko Latanec war früher Libero beim VfB Stuttgart. – Solche Leute treffen – das ist natürlich ein Highlight im Leben eines Mannes, der in seiner Freizeit viel mit der wichtigsten Nebensache der Welt zu tun hatte: Schließlich trainierte er in Ehingen vor bereits dreißig Jahren Fußballer seines damals noch Jugoslawien heißenden Heimatstaates, die Mannschaft „Mladost” („Jugend”). Später betreute Presern die Fußballer des damaligen jugoslawischen Clubs „29. November” (mit Sitz im einstigen „Württemberger Hof” am Ehinger Bahnhof) und seit x Jahren berichtet Presern regelmäßig über Fußballereignisse in Deutschland an kroatische Sportzeitungen, seit einigen Jahren über die Spiele des kroatischen Fußballclubs Ehingen („KSC”). Die kroatische Sportzeitung mit Sitz in Zagreb ist wegen ihrer KSC-Berichte auch in Ehingen abonniert.

Zvetko war zwei Wochen lang, vom 31. Mai bis 14. Juni, im Weltmeisterschaftsland Korea, dann noch einige Tage in der alten Heimat. Inzwischen sind wohl die meisten seiner weltmeisterschaftsreisenden Landsleute wieder in ihrer Heimat oder in ihren Ersatz-Heimatländern. Sie sind sicher traurig, dass es die slowenische Mannschaft bei der Meisterschaft nicht weiter brachte, aber sie sind auch glücklich über die miterlebten Spiele und insbesondere, so Presern im Gespräch mit der Ehinger SZ, über die unwahrscheinliche Gastfreundschaft der Koreaner.

Imponierend waren für Presern auch die Reisen, die er während der zwei Wochen in Korea unternahm. Dazu gehörte beispielsweise eine sechsstündige Schifffahrt auf eine große, dem koreanischen Festland vorgelagerte Insel, auf der eines der Spiele stattfand, die Besichtigung von historisch und religiös bedeutsamen Orten Südkoreas, der Kontakt mit den freundlichen Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg und natürlich die Gemeinschaft mit den slowenischen Nationalmannschafts-Anhängern. Presern hielt sich hauptsächlich an zwei Orten mit Weltmeisterschaftsspielen auf, Orten, die sonst kein Mensch bei uns kennt, auch wenn es Millionenstädte sind, aber die in den letzten Wochen im Munde aller Fußballfans waren.

Presern hat außer Fotos und Erinnerungen einige landestypische Souvenirs mitgebracht – und zum Teil schon wieder verschenkt. Unter anderem trug er als Fan eine Mütze mit einem slowenischen Nationalsymbol, dem Berg Triglav, und ein Hemd mit den Portraits der slowenischen Nationalmannschaftsspieler. Der slowenische Fußballverband hatte derlei schon der Heimat vorbereitet und nach Korea transportieren lassen.

Eine Beobachtung am Rande: Slowenen sind sprachbegabt. Die Berichte über Ehinger KSC-Spiele muss Presern auf Kroatisch verfassen, aber das hat er gelernt als einer, der im Vielvölkerstaat Jugoslawien mit der damaligen Staatssprache „Serbokroatisch” aufwuchs.

Was vielleicht nicht einmal mehr alle Fußballfans hierherum wissen: Es gab in Baden-Württemberg früher sogar eine eigene jugoslawische Liga. Durch die Re-Nationalisierung des Balkan-Staates wurde diese sicher gute, in gewissem Sinn übernationale Einrichtung beendet. Wer war oder ist noch in Korea oder Japan? Die Ehinger SZ dankt nochmals für den Kartengruß und fragt: Kennt jemand weitere Leute aus dem Raum Ehingen, »die Fußball-Weltmeisterschaftsspiele des Jahres 2002 persönlich erlebten oder noch erleben?

Auf unsere Bitte stellte sich Z. Presern mit der Fan-Montur zum Bildle parat. Auf einem seiner T- Shirts sind die drei slowenischen Spiele (gegen Spanien, Südafrika und Paraguay) samt Ort und Datum zu lesen

12.06.2002 | Einige Wahlen im Kaiserreich ähneln denen in Diktaturen

EHINGEN (vf) – Dr. Andreas Gawatz sprach auf Einladung der Museumsgesellschaft am Freitag im Museum über Wahlen im Deutschen Kaiserreich, insbesondere im Raum Ehingen.- Der Ehinger Gymnasiallehrer ist durch eine große, vergangenes Jahr erschienene Arbeit über dieses Thema (allgemein, nicht unter lokalem Aspekt) als Kenner ausgewiesen. Seinen Vortrag zur regionalen Kaiserreichsgeschichte am Freitag wird er –  in ähnlicher Form – zu veröffentlichen versuchen.

Obwohl das Oberamt Ehingen nur ein vergleichsweise kleines Gebiet war, gewann Gawatz doch einige interessante Erkenntnisse. Eine Grundlage für diese Erkenntnisse war die damalige Tageszeitung im Oberamt aus dem Ehinger Verlagshaus Feger, der „Volksfreund für Oberschwaben“, den Gawatz immer wieder zitierte.

Warum dieses Thema?

Gawatz eröffnete seinen Vortrag mit einer Darlegung von Eckpunkten der wissenschaftlichen Diskussion über den politischen Charakter des Kaiserreichs und so auch mit einer Begründung, warum es auch heute interessant ist, sich mit diesem Thema zu befassen. Mit Begründungen versehene Behauptungen über zentrale politische Eigenheiten des Kaiserreichs sind auch für uns Heutige nicht ohne Belang. Sie sind Elemente einer Antwort auf die Frage nach Gründen für die deutsche „Unglücksgeschichte“: Wurde die gesamtstaatlich organisierte Bösartigkeit des Dritten Reichs schon früher vorbereitet? – Vor dem Hintergrund der späteren Entwicklung fragen Forscher beispielsweise: Wie demokratisch oder undemokratisch war das Kaiserreich? Hat die unterstellte geringe Demokratie-Fähigkeit etwas mit dem Marsch in den Ersten Weltkrieg zu tun und gar darüber hinaus mit dem Marsch in eine der fatalsten Zeiten der deutschen Geschichte, ins Dritte Reich mit seiner Massenvernichtungsarbeit?

Gawatz zählte auf, was für die Beschreibung „u n entwickelte Demokratie im Kaiserreich“ spricht, aber auch das, was für Demokratisierungsfortschritte gegenüber früheren Regierungsformen in Deutschland und zeitgleichen Regierungen in Europa spricht.

Demokratische Elemente im Kaiserstaat sind ungeliebt

Eine seiner Beobachtungen betraf grundlegende Einschätzungen, die wahlberechtigte Männer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Raum Ehingen zur Politik, insbesondere zur Wahlsituation, hatten. Im beginnenden Kaiserreich kritisierten Wortführer in unserem Raum eher die staatliche Obrigkeit, die als Behinderer bei Wahlen empfunden wurde; später empfanden die politisch einflussreichsten Wählergruppen und ihre Sprecher vor allem die politischen Konkurrenten, andere Parteien, als hinderlich. Gawatz zitierte verschiedene Äußerungen, in denen konkurrierende Parteien übel abqualifiziert werden (die „Volksfreund“- Redaktion stand auf Seiten der konservativen Mehrheit). Eigenartig berührt vor allem, dass das Konkurrieren von politischen Gruppen um Wählerstimmen mit Bildern aus dem Krieg umschrieben wird. Ein Grundkonsens der Demokraten, dass jeder Demokrat besser ist als ein Nicht-Demokrat, scheint nicht vorhanden.

Unerwünscht sind rote / liberale (,Jüdische‘) Konkurrenzparteien

Hassobjekte der konservativen und einflussreichen Menschen im Raum Ehingen waren in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs einerseits die „gottlosen“ Sozialdemokraten und andererseits (hier wird’s antisemitisch) liberale Parteien, die identifiziert werden mit „schrankenloser jüdischer Konkurrenz“, mit „unbeschränktem Freihandel und schwärmerischer Judenliebe“. – Der Streit um den Freihandel hat eine heutige Parallele in der Frage „Globalisierung ja oder nein“.

Eine andere Erkenntnis von Gawatz: Zunächst neigte die überwiegende Zahl der Wähler im Raum Ehingen trotz des überwiegenden Katholizismus nicht ausgesprochen katholischen und adeligen Kandidaten zu (wie in den umgebenden katholischen Wahlkreisen), sondern die Wahlentscheidungen liefen eher auf überkommenen Schienen von unterschiedlicher „Liberalität“ und ‘ nationalstaatlicher Orientierung. Der Raum. Ehingen, so Gawatz, war in den 1870er und 1880er Jahren „konservativ und preußisch national eingestellt – verwunderlich für einen katholischen Bezirk“. Ein solcher Preußisch-Nationaler war beispielsweise der Landtags- und Reichstagsabgeordnete Karl Joseph Schmid aus Munderkingen.

Am besten, wenn es nur einen einzigen Kandidaten gibt

Gawatz schilderte, wie im Raum Ehingen damals Kandidaten für die Parlamente aufgestellt wurden – sehr anders als heute bei uns; Konkurrenz von Kandidaten verschiedener Parteien und Auswahl unter ihnen galt als unfein. Am besten sollte es überhaupt nur einen einzigen Kandidaten geben; Gawatz nannte die Kandidatur K. J. Schmids und was mit ihr zusammenhing, „Honoratiorenpolitik und Beispiel für vormoderne Wahlen“. Eine Haltung, die es auch heute noch, aber nicht mehr so verbreitet gibt, zeigte sich damals deutlich: die Angst vor politischem „Zwist und Niedertracht“ (so ein Zitat aus dem Volksfreund 1882). Man hoffte, dass durch die Aufstellung eines einzigen Kandidaten dem Wahlkreis ein Wahlkampf „erspart“ bleibe.

Hier zeigt sich eine konfliktunfreundliche Grundhaltung der Deutschen, die in den 20er Jahren von den Nationalsozialisten gegen die erste deutsche Demokratie ausgenutzt wurde: Hitler und seine Bewunderer setzten der „Schwatzbude“ Parlament die energische Führergestalt entgegen, die schon alles regelt. Der Kandidat Minister Schmid beispielsweise erhielt (laut Zeitungsbericht) die „Zustimmung der bischöflichen Kurie und der ganzen Geistlichkeit des Bezirks“. Ein Gegenkandidat wurde nicht aufgestellt, Schmid erhielt in einer Wahl 99 Prozent (!) der gültigen 4385 Stimmen – ein Prozentsatz, den man in der Politikwissenschaft heute mit diktatorischen Regimes wie dem Dritten Reich und der Sowjetunion gleichsetzt.

04.06.2002 | Die Abendbrise darf schon mal die Notenblätter vom Pult wehen

Die Abendbrise darf schon mal die Notenblätter vom Pult wehen

MUNDERKINGEN (vf) – Rosensträucher, gedämpfte Querflöten- und Cembalo-Musik, der Ausblick auf eine ruhig vorbeifließende Donau, amüsiert vorgetragene Geschichten aus dem .Pfarrhof“ direkt hinter den Sitzplätzen, Abendsonne. So schön kann Kultur sein. Die katholische Kirchengemeinde und die städtische Volkshochschule ließen dies am Sonntagabend erleben. Wenn dann noch ein leichter Windstoß die Musiknoten wegwirbelt und die Musiker einige Sekunden pausieren müssen, fliegt auch die unnötige Feierlichkeit vom Notenpult.

Offizieller Anlass für diese Veranstaltung: Das stattliche Pfarrhaus („Pfarrhof“) der katholischen Kirchengemeinde ist gerade dreihundert Jahre alt. Bekanntlich hatten die Prämonstratenser von Marchtal in Munderkingen das Pfarr-Recht, ließen Mönche hier die Seelsorge ausüben und für je drei (Pfarr-)Mönch das Gebäude zwischen Donau und Stadtpfarrkirche errichten. Die repräsentativen Fassaden und Räume ihres eigenen Stiftes fünf, sechs Kilometer westlich von Munderkingen zeigen und schauen nicht zur Donau, sondern zur „Landseite“ hin, die Fassade des Pfarrhofs in Munderkingen hingegen schaut zum F l u s s; die L a n d s c h a f t ist das Wichtige. Der jetzige Pfarrer von St. Dionysius und hauptsächliche Nutzer des Pfarrhofs, Ulrich Steck, hat bekanntlich schon vor seinem Einzug in das Haus mit der freiwilligen Hilfe von Munderkingern und Nicht-Munderkingern den lange Zeit vernachlässigten Pfarrgarten hergerichtet, so, wie er zu seinen besten

Foto: Dr. W. Nuber bei seinem Vortrag

Zeiten ausgesehen haben könnte. Und so entstand in der Stadt eine schöne, aber nicht pompöse „Ecke“, eigentlich ideal für eine solche „Soiree“ wie am Sonntag – und möglicherweise erst an diesem Abend so richtig dafür entdeckt. Schade, dass nur weitgehend ältere Menschen bereit sind, an dieser überkommenen „Zivilisation“ teilzuhaben und sie zu genießen

Wer wollte, konnte entdecken. Wer von uns Heutigen kennt schon Kompositionen des Marchtaler Mönchs und Reutlingendorfer Pfarrers Sixtus Bachmann (1754 – 1825)? Wolfgang Weller spielte an diesem Abend seine „Fantasie prima a-Moll“. – Ab und zu ist die Weltgeschichte im Recht, wenn sie Gericht ist und als solches einen Künstler und sein Werk vergessen lässt. Hier aber war die Geschichte nicht im Recht. Diese „Fantasia“ war ausgesprochen abwechslungsreich und unterhaltsam. Sie besteht aus lauter kurzen, verschiedenen Teilen, deren Unterschiede Wolfgang Weller klug herausarbeitete. Vielleicht wollte Bachmann sogar zeigen, wie verschieden man ein Tasteninstrument traktieren kann und was es zu seiner Zeit an Kompositionstechniken gab. Dem Verfasser dieser Zeilen wurde hier eine weitere Bildungslücke demonstriert. Diese noch besser zu schließen, ist freilich nicht so einfach. Eine Einspielung von Bachmann Kompositionen gibt es nicht zu kaufen, und ebenso nicht die Noten.

In dem Garten, in dem die Zuhörer an diesem Abend saßen, ging vor gut zweihundert Jahren Pater Isfried Kayser (1712 – 1771) spazieren, und im Pfarrhof daneben wohnte (und komponierte) er ein Jahrzehnt. Von ihm erklangen an diesem Abend zwei Sätze aus seiner „Parthia“, die sich nach Meinung des Verfassers dieser Zeilen in den Bahnen des damals üblichen Komponierens hielten, außerdem eine „Cantata sacra“ (eine Kantate aus kirchlichem Anlass), Titel: „Sursum corda“, die hohe Ansprüche an die weibliche Singstimme stellt und die hier viel Ähnlichkeit mit den virtuosen „Läufen“ einer damaligen Oper hat. Weil wenigstens der I n h a 11 religiös sein sollte, betonte der Komponist dies gleich im Titel. – Birgitta Aicher war früher Pastoralreferentin in Ehingen und ist immer wieder mal bereit, in unserem Raum Sänger-Aufgaben zu erfüllen; sie sang diese Kantate mit einer gut ausgebildeten Stimme sehr schön, stimmig und innig. Was religiöser Gesang sein wollte, wurde nicht zum Exerzierfeld stimmlicher Extravaganz. Begleitet wurde B. Aicher von Anke und Elisabeth Aicher, Violine, Johann Miehle, Viola, Ferdinand Gerstetter, Cello, Richard Fischer, Cembalo.

Foto: W. Weller am Cembalo

Drei Kompositionen von Veracini, Marais und Vinci wurden von Ulrike Pöhner, Querflöte-Lehrerin der städtischen Musikschule, und Wolfgang Weller vorgetragen. Weller nahm sich hier als Begleiter  zurück und ließ die Flötistin dominieren. Dass Komponist Isfrid Kayser im P f a r r h 0 f lebte, hörten wir an diesem Abend aus dem Mund des früheren Realschul-Rektors Dr. Winfried Nuber. Sein Vortrag war ein (fast schon zu langes) Kabinettstück zum Beleg der Behauptung, dass Lokalgeschichte amüsant sein kann, wenn man sich um ihre Erforschung kümmert, und dass sie, wenn man will, genug Bezüge zur „großen“ Geschichte zu ziehen erlaubt. Man würde diese Geschichten gern im einzelnen nachlesen; hier alle auf einen Schlag wiederzugeben, übersteigt den üblichen Zeitungsbericht weit. Nur einige Tupfer. Da gab es beispielsweise den langen Streit um die Misthäufen zwischen den Ordensfrauen des nördlich anschließenden Anna-Klosters und dem Pfarrherrn. Da ereignet es sich aber auch, dass ein Fürst und General aus Hannover in einem der schrecklichen Erbfolgekriege des beginnenden 18. Jahrhunderts beim Überqueren der Donau ausgerechnet vor dem Pfarrhof von einer französischen Kugel getroffen wird. Die Leiche wird dann bis nach Norddeutschland transportiert – bei den damaligen Verkehrsverhältnissen sicher kein leichter Job, eine wochenlange Reise. – Oder: Der bayerische Churfürst kommt kriegshalber nach Munderkingen und ist einer der ersten prominenten Bewohner des gerade fertiggestellten Pfarrhofs. Der war wohl das mit Abstand repräsentativste Wohngebäude in der Stadt. Man hörte an diesem Abend auch Amüsantes und Interessantes von den Lebensgewohnheiten des Komponisten Kayser, der aus dem Druck und Vertrieb seiner Kompositionen – jedenfalls für damalige Verhältnisse – ganz nett was einnahm, das er dann behalten durfte. Seine Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnbedürfnisse waren ja durch seine Tätigkeit und Bezahlung als Pfarrhelfer bereits befriedigt.

Wir hörten auch vom Ende der marchtalischen Zeit in diesem Haus: Das gesamte Inventar samt der großen Bibliothek wurde verschleudert. Die Vergantung war nicht nur ein böser obrigkeitlicher Akt der neuen Herren aus Regensburg (Thum und Taxis); nein, auch die Stadtverwaltung, so Nuber augenzwinkernd, beteiligte sich an der Verschleuderung und Umsetzung in Bares. – Das war dann das Ende der großen Zeit des Pfarrhofs. Danach wurde aus dem Zier- ein Gemüsegarten, dessen Erträgnisse der jeweilige Pfarrer dringend für die Aufbesserung seines Speisezettels benötigte.

Auch später noch wohnten einige gebildete Herren in dem Haus, so ein aufklärungsgesinnter Geistlicher, der ein Buch über die Geschichte des Papsttums verfasste, und beispielsweise Pfarrer Dr. Schmid, von dem sich „das Fräulein“ Müller-Gögler in ihrer Zeit als Munderkinger Volkschullehrerin 1920 Latein-Unterricht erteilen ließ. Der Herr Pfarrer befasste sich aber nicht nur mit lateinischen Vokabeln, sondern – in gemäßigter Form – auch mit dem angenehmen Anblick seiner erwachsenen Schülerin. Beide mussten darüber lachen. Und schon kam die Hauserin ins Zimmer und fragte, ob die Latein-Stunde schon zu Ende sei. Alles in allem: ein schöner Abend.

Foto: Birgitta Aicher singt eine Kantate von I. Kayser.

Fotos: vf